Sonntag, 29. März 2015

Psychische Krankheit und Suizid

Heute habe ich das erste Mal wieder Nachrichten gesehen, die nicht als erstes mit dem Ereignis vom vergangenen Dienstag begannen. Auch der Presseclub widmete sich bewusst einem anderen Thema, nämlich dem der "Maut". Inzwischen sind  Stimmen laut geworden, die von einer Vorverurteilung schon durch die französische Staatsanwaltschaft und dann quer Beet durch die Medien sprechen. Am Freitag habe ich zu einem Kollegen am Telefon gesagt: Es könnte ein zweischneidiges Schwert werden: Einmal könnte es die sowieso vorhandenen Vorurteile gegen psychisch Kranke verstärken, andererseits birgt es vielleicht die Chance auf zukünftige vermehrte Suizidprophylaxe. Man brauche jetzt keine Spekulationen mehr, sagte jemand im Fernsehen, erst müsse die Blackbox gefunden werden und es müssten die Ärzte sprechen. Gott sei es gedankt, dass auch einige Journalisten sich auf ihre humanitäre Sorgfaltspflicht besinnen: zum Beispiel in der FAZ von heute, Sonntag, den 29. März 2015. Neben schon bekannten Tatsachenberichten kommen auf den hinteren Seiten Psychiater wie Prof. Dr. Andreas Reif aus Würzburg und Prof. Dr. Harald Dressing vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim zu Wort, die in etwa ausdrücken, was ich die ganze Zeit gedacht hatte. In einem anderen Artikel habe ich aus dem Mund eines Arztes das Wort "Mitnahmesuizid"gelesen, was den vermuteten Tatsachen viel eher entspricht als "erweiterter Suizid".

Da ich -wie wahrscheinlich viele von uns - eine lebenslange Erfahrung mit suizidgefährdeten Menschen habe und das zudem aus professioneller Sicht sehe, möchte ich gern auf meine Art etwas dazu beitragen, mit Vorurteilen und Spekulationen aufzuräumen. Immer vorausgesetzt, die Vermutungen sollten sich bewahrheiten. Kürzlich hatte ich eine längere Emailkorrespondenz mit einer Autorenkollegin, die nach einem Suizid im Bekanntenkreis mehr über suizidale Handlungen wissen wollte. Dazu kramte ich meine schon etwas zerfledderte Diplomarbeit aus den 80er Jahren heraus und stellte fest, dass sich im Lauf der letzten Jahrzehnte nur an den äußeren Fakten etwas geändert hat, nicht aber an den Ursachen. So ist die Suizidrate in den letzten dreißig Jahren von 18 000 auf 10 000 im Jahr zurückgegangen, wahrscheinlich ist das auf zunehmende Aufklärung der Hausärzte und der Patienten zurückzuführen. Aber die Selbsttötung steht bei Jugendlichen, nach Unfällen und Aids, immer noch an dritter Stelle der Todesursachen! Die Veränderung der Kommunikation durch Handys und die sozialen Medien mögen eine größere Bandbreite an Kontakten ermöglichen, bergen aber auch die Gefahr der emotionalen Vereinsamung. Man soll ja immer gut drauf sein, Erfolge melden und Spaß haben. Wenn nicht, riskiert man, rausgeklickt zu werden. Sie bergen auch die Gefahr der Verstärkung der Symptome und des Rückzugs bei denen, die an Depressionen oder einer anderen psychischen Erkrankung wie einer Psychose, einer Borderline-Persönlichkeitsstörung oder einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Selbstmord ist fast immer, damals wie heute, der Endpunkt einer krankhaften psychischen Entwicklung. 10% mögen Bilanzselbstmorde sein. Und nach wie vor stehen Depressionen an erster Stelle aller psychischen Erkrankungen. Dabei wird nicht zwischen sogenannten endogenen und exogenen Depressionen unterschieden. Die Burnout-Erschöpfung scheint mir nach wie vor im Vormarsch zu sein. Das zeigt auch dieser Artikel aus Spiegel Online Wissenschaft, der die krankmachenden Arbeitsbedingungen in der Luftfahrt untersucht: Verdrängen, verleugnen, verschweigen. Das gilt natürlich nicht nur für die Luftfahrt, sondern auch für viele andere Bereiche.

Die Frage, die mich in den letzten Tagen am meisten umtrieb, war folgende: Wie kommt es, dass die nähere Umgebung nichts von dem gemerkt hat, was schließlich zur Katastrophe führen sollte? Und eine Katastophe wäre es auch, wenn es nicht beabsichtigt war, dann wäre schon der Gang zur Arbeit eine tödliche Fahrlässigigkeit gewesen. War es Angst um den Arbeitsplatz? Niemand hat etwas gemerkt, wenn jemand über eine Woche aus psychischen oder psychosomatischen Gründen krank geschrieben wird? Das ist für mich eine weitere Katastrophe und zeugt davon, dass den Menschen die Empathie mit dem Smartphone abhanden gekommen zu sein scheint. Wahre Empathie haben die Bewohner des Ortes Seyne-les-Alpes bewiesen, als sie den Angehörigen so selbstverständlich Hilfe anboten-wie Detlef Esslinger gestern in der Süddeutschen Zeitung bemerkte. Es gibt Hinweise auf drohende suizidale Handlungen. Wenn man genau hinschaut, kann man merken, wenn etwas mit dem anderen nicht stimmt. In der Apothekenumschau sind diese Hinweise sehr gut zusammengefasst. Und doch ist das unabhängig von der Schuldfrage zu sehen. Die Verantwortung liegt letztendlich beim Handelnden selbst.

In meinem professionellen Umfeld machen wir es so, dass wir Antisuizidverträge abschließen, wenn jemand äußert, er wolle Hand an sich legen. Kann er nicht versprechen, es nicht zu tun, müssen wir ihn in die Klinik bringen. Gern würde ich meine Erfahrungen und Kenntnisse weiterhin in die Öffentlichkeit bringen. Hier im Blog, aber vielleicht auch über örtliche Zeitungen, sobald ich mehr Zeit dafür haben werde. Und wenn mich jemand fragte, ob ich einen hilfreichen Satz für jemanden in dieser Situation hätte, würde ich sagen: Es gibt kein Problem, für das es keine Lösung gäbe. Und sei es auch nur, dass man die Sichtweise ändert, zum Beispiel: Ich muss nicht immer alles alleine schaffen, ich kann mir auch Hilfe holen. Und mein eigenes Motto: Es gibt ungeheuer viel zu versäumen, wenn man zu früh aufgibt.
Siehe auch: Wer depressiv ist, will anderen kein Leid antun.

Freitag, 27. März 2015

Das Motiv

In den letzten vier Tagen wurden wir von Tausenden von Bildern und Worten überflutet. Ich habe mir nur wenige Berichte und Nachrichten im Fernsehen angeschaut, bin nicht mehr im sozialen Netz gewesen. Fassungslos trauernd. Auf der Suche nach einem Motiv. Einen einzigen Artikel zur vorsichtigen These des erweiterten Suizids habe ich in der ZEIT gefunden. Zitat:
"Solange das Motiv des Copiloten nicht bekannt ist, muss mit Begriffen, die die Tat definieren, vorsichtig umgegangen werden. Erweiterter Suizid, Homizid, Amoklauf – die Tat trägt Anzeichen all dieser Formen der Selbsttötung, zugleich sprechen Indizien gegen jede von ihnen."

Freitag, 20. März 2015

Rette sich, wer kann!

Heute habe ich mal wieder eine Menge über das sogenannte Helfersyndrom gelernt. Der Begriff stammt von Wolfgang Schmidbauer aus seinem Buch "Die hilflosen Helfer". Es geht dabei um Menschen, die anderen helfen wollen, dabei Verantwortung für sie übernehmen auch in Dingen, welche sie selber erledigen könnten und damit die Position der Hilfeopfer schwächen. Hinter diesem "pathologischen Helfen" stecken eigene starke Bedürfnisse nach Anerkennung und Zugehörigkeit, auch nach Macht. Nach dem Lesen eines Artikels über Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und den europäischen Rettungsschirm bin ich zwangsläufig zu der Überlegung gekommen, ob Frau Merkel nicht auch dem Helfersyndrom unterliegt. Die größte Insolvenzverschleppung. Denn sie hat diesen Rettungsschirm gemeinsam mit Hollande und anderen ausgebreitet, immer wieder, und schwächt damit das griechische Volk mehr und mehr. Dahinter könnte der unstillbare Wunsch nach Anerkennung stecken, nämlich die Kanzlerin des geeinten Europas zu werden, mit einem einzigen starken europäischen Euro. Damit ist sie gescheitert. Jeder weitere Versuch, die Griechen zu retten, wird das Land in ein noch tieferes Chaos versinken lassen.

Wenden wir den Blick von der großen Politik auf die Innenwelt der Beziehungen, auf die vielen Helfer, die aus pathologischen Gründen helfen und dabei mehr Schaden anrichten als Gutes tun. In einem aufschlussreichen Artikel aus der Transaktionsanalyse Helfersyndrom beschreibt zum Beispiel ein Klient, dass er ja nicht selber Auto fahren müsse, wenn ein anderer von hinten schiebt. (Achtung, Artikel ist etwas umfangreicher und nichts für Klickfaule!) Am Schluss gibt es noch ein paar sehr hilfreiche Tipps zum Umgang mit der eigenen Helferrolle. Das Ganze orientiert sich an dem sogenannten Dramadreieck Opfer-Verfolger-Retter. Dabei fällt mir ein, dass dieses Dreieck häufig ein Grundschema bei Krimis oder anderen Romanen, nicht nur bei Unterhaltungsromanen, ist, ähnlich wie die Heldenreise des Odysseus. Dabei können diese Rollen ständig wechseln, sei es im wirklichen Leben, in Paarbeziehungen als auch in der Fiktion.

Am Schluss die allgemeinen Strategien von Menschen, Anerkennung und Zuwendung zu erlangen (ja, auch Geld kann eine Art "Zuwendung" sein).
Ein jeder kann sein Wissen, sein Handwerk, seine Erfahrung und seine Kreativität beruflich und zwischenmenschlich einsetzen. Damit wird er sich und andere zufrieden machen. Leidet er aber an einem massiven Mangel an Anerkennung, werden seine Aktionen und Beziehungen von dem Wunsch getrieben sein, sich diese durch besondere Anstrengungen zu verschaffen. Dabei kann die bekannte Spirale der Burnout-Entwicklung in Gang gesetzt werden. Auf internationaler Ebene wird es eher ein Burnout des zu Rettenden sein. Oder nein: Ein Politiker kann angetreten sein, die Welt zu retten. Dabei täte er besser daran, sich selbst und andere zu retten, indem er dem zu Rettenden die Hilfe gibt, die er wirklich braucht! Genauso ist es bei allen anderen Menschen, die aus falschen Motiven heraus helfen. Retten kann sich jeder letztendlich nur selbst. Helfer, wenn sie gekonnt und effektiv helfen wollen, unterstützen andere nur an den Stellen, an denen diese selber nicht weiterkommen. Und lassen ihnen ihre Verantwortung für ihr Leben, für ihr Land und ihren Umgang mit sich selbst.

Sonntag, 15. März 2015

Wer langsamer wird, kann mehr erleben

Auf meinem Küchentisch steht ein Autorenkalender, Überbleibsel aus einem der Jubiläums-Geschenkkörbe, die ich in naher Vergangenheit erhielt. Diese Woche fällt mir jeden Tag der Spruch einer Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts in die Augen: "Die Langsamkeit bietet die Chance, das, was wir tun, auch zu erleben."
Henriette Wilhelmine Hanke, von der hatte ich bisher nie etwas gehört. Und doch war sie in ihrer Zeit eine Bestseller-Autorin. Offensichtlich hat sie ihren Leserinnen vieles der Spätromantik und ihres eigenen einsamen Lebens vermittelt. Eigentlich wollte ich in meinem nächsten Artikel über die Mobilität des Menschen schreiben. Und ich sehe da durchaus Verknüpfungen. Die größere Mobilität des Menschen begann damit, dass er nicht mehr weite Strecken wanderte, sondern sich zu Pferde fortbewegte. Später, nach Erfindung des Rades, auch mit Ochsen -oder Eselskarren. Je weiter die Zeit fortschritt, desto schneller konnte er sich von einem zum anderen Ort begeben. Die ganz große Revolution kam dann mit dem maschinellen Zeitalter, der Eisenbahn, dem Automobil und den Flugzeugen. Schließlich flog er in Überschallgeschwindigkeit zum Mond. Ähnlich ist es mit vielem anderen, mit den Lese-und Schreibgewohnheiten und der Kommunikation. Die alten Kulturen hinterließen der Nachwelt Schriften und Kunstwerke, die Bibel wurde vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt, irgendwann kamen Schreibmaschine und Computer in allen Dimensionen hinzu. Während man früher also zum Nachbarn ging und mit ihm redete, sitzt man heute am Tisch und redet in sein Smartphone. Bei Facebook kommen mal schnell welche vorbei (oder auch nicht), um ein paar Worte abzulassen. Was erleben wir denn da? Eigentlich nicht viel. Wir haben das Höchstmaß an Mobilität und Kommunikation erreicht.

Wenn ich mit dem Hochgeschwindigkeitszug durch die Landschaft rase oder auf der Autobahn fahre, sausen Wälder, Berge, Seen und Städte an mir vorbei. Sie verlieren an Bedeutung und werden austauschbar. Erst kürzlich dachte ich bei einer dieser Gelegenheiten: Wenn jetzt jemand aus dem All auf die Welt niederschauen würde, sähe er Millionen von Gestalten, die in einer Art Konservendosen sitzen, meist jeder für sich, und schnell irgendeinem Ziel zusteuern, das sie dann ebenso schnell wieder verlassen. Dafür sind wir doch gar nicht gemacht! Die anderen Millionen sitzen vor größeren oder kleineren Guckkästen, erleben dort ihre eigene Welt oder kommunizieren mit anderen Kastenguckern. Den Weg durch den Wald finden sie mit Hilfe von Google Earth. Dabei übersehen sie das erste aufgeblühte Veilchen, den ersten Blaustern oder Märzenbecher. Im Café sitzen sie, drücken und schieben auf ihren Smartphones herum und übersehen die vielen interessanten Menschen und Begebenheiten, die sich vor ihren Augen abspielen. Es ist das Leben in einer Parallelwelt.

Wenn ich zu Fuß einen Wanderweg beschreite, wird die Bedeutung wiederhergestellt, am meisten wahrscheinlich, wenn ich die Wanderung immer wieder unterbreche, die Dinge am Wegesrand betrachte oder eine Aussicht genieße. Ich erlebe etwas, wenn ich mit anderen spreche oder auch nur den Vögeln an der Futterstelle zuschaue. Oh nein, das Rad der Geschichte will ich keinesfalls zurückdrehen. Es sollte aber jeder von den allzu Mobilen, den allzu schnellen Guckern, den Fast-Food-Essern und auch von den allzu schnell veröffentlichenden Autoren ab und zu innehalten und überlegen, wo und was es wirklich zu erleben gibt. Und noch etwas: Das Medium ist dazu da, es richtig in seinen Gebrauch zu bringen. Wer sein Leben verhuscht und nirgendwo ankommt, ist daran vorbeigegangen. Aber wer alle Mittel, die der Mensch zu seiner Verfügung hat, richtig in Gebrauch nimmt, kann wirklich etwas erleben und es an andere weitergeben, damit die wiederum etwas erleben können.


Mittwoch, 11. März 2015

Besser werden

Derweil alle anderen mit Schreiben, Vorbereitung auf die Leipziger Messe und anderem beschäftigt sind, während von draußen das blaue Band des Frühlings hereinflattert, sitze ich hier vor meinem Monitor und fühle mich glücklich, weil ich das Lektorat meines historischen Kriminalromans soeben beendet habe. Es ist rundum rund in meinen Augen, und selbst wenn später Leser noch irgendwelche Fehler finden sollten, so finden sie die auch nach einem Verlagslektorat. Den Text drucke ich peu á peu aus und werde noch einmal sorgfältig darübergehen. Nächste Woche gibt es noch die letzte Runde des Lektorats.

Kürzlich habe ich bei Andreas Eschbach und anderen etwas zum Thema "Besser werden" gelesen. Das kann man mit entsprechender Suche nachlesen. Dann verfolgte ich in einer Pause die Diskussion in der KDP-Community mit einem Autor, der um Tipps zum Vermarkten bat, weil sein Ebook sich nur einmal verkauft hatte. Die anderen stiegen darauf ein, schauten sich das Cover an, das selbst gestrickt wirkte und fanden auch prompt Fehler in der Interpunktion. Darüber möchte ich mich gar nicht erheben. Mit Schrecken fiel mir ein, dass ich vor gefühlten Ewigkeiten mit einer lustigen Geschichte in die Schreibwerkstatt einstieg. Jemand fiel fast vom Stuhl vor Lachen, aber ein anderer meinte, ich solle doch die Weihnachtsbaumkerzen ohne Aal -- und Krabbenduft brennen lassen. Und hinter eine wörtliche Rede gehöre ein Komma hinter die Anführungszeichen. Das hatte ich in der Schule nicht gelernt. Ich war sowieso ein vollkommener Analphabet, was das Schreiben von Kurzgeschichten wie auch das von Romanen betrifft. Feuilletonschreiben, ja, das hatte ich gelernt. So eignete ich mir von der Pike auf alles an, was an Handwerk dazu gehört, einschließlich der Veröffentlichung bei Verlagen, dem Schreiben von Exposés und dem Kontakt mit einer Agentur. Und wenn ich glaubte, ich hätte den Stein der Weisen des Exposés endlich gefunden, dann war das noch lange nicht genug. Genug wird auch jetzt nicht genug sein, wie Konstantin Wecker sang.

Durch das alles bin ich im Laufe der Jahre besser geworden, vor allem durch Lesen ohne Ende, durch Kritik von Kollegen, Agent, Lektoren, selbst die Kritiken bei Amazon haben  mich weiter gebracht, wenn sie den Finger auf eine bestimmte Wunde legten und nicht nur beklagten, dass die Bücher von Autor Y ihnen aber besser gefallen. Mein Roman, den ich gerade beendet habe, erscheint mir (wie öfter schon) als der Beste, den ich je schrieb. Dabei weiß ich genau, dass es eine Art Verliebtheit in das eigene Werk ist, das andere durch eine ganz andere Brille sehen. Und es ist noch lange nicht genug mit dem Besserwerden. Da hätte ich noch eine Empfehlung für Autoren, die nichts anderes wollen, als ihr Buch zu veröffentlichen und dabei die Verlagshürde mit all ihren Dornen nicht nehmen wollen: Wartet, bis der Text reif ist, legt ihn immer wieder beiseite und arbeitet ihn nochmal durch, lasst Profis drüberschauen, lest, bildet euch fort. Dann könnt ihr mit der Zeit immer besser werden und immer mehr Leser erreichen, die sich auf eure kommenden Bücher freuen.

Samstag, 7. März 2015

Was macht der Lektor mit dem Buch, was der Leser?

Vorgestern habe ich das Lektorat meines historischen (Kriminal-) Romans beendet. Und ich muss sagen: Es hat der Geschichte noch einmal den richtigen Drive und Hinweise auf tiefere Zusammenhänge gegeben. Das betrifft den gesamten Roman bzw. den Handlungsablauf von der ersten bis zur letzten Szene. Zum Ablauf hatte mir mein Testleser schon richtig gute Ideen beigesteuert. Jetzt kann ich den gesamten Roman unter diesen Aspekten noch einmal überarbeiten, korrektorieren lassen und dann veröffentlichen ...eine sehr verlockende Aufgabe! Die insgesamt acht Lektoren, die ich bisher hatte, haben aus meinen Büchern jeweils das Beste herausgeholt, was zu holen war, jede(r) auf seine Weise. Dieses letzte Lektorat war eigentlich das intensivste, weil sich die Lektorin in die ganze Geschichte hineingefühlt hat und sich davon inspirieren ließ.

Gestern, nach (Schreib -) Feierabend, fand ich einen Artikel von Nina George im Blog der Bücherfrauen (3.3.15): Ich liebe meinen Verleger, aber brauche ich ihn noch, auf den auch einige mir liebe und wohlbekannte Autoren geantwortet haben. Es ging um das Verhältnis des Autors zum Verleger und zur eigenen Veröffentlichungstätigkeit. Dabei wurden, auch in den Kommentaren, alle wesentlichen Aspekte herausgearbeitet, die auch mich gerade brennend interessieren. Es gibt noch einen weiteren Artikel bei den Bücherfrauen, der ebenfalls zukunftsweisend ist: Das Buch der Zukunft-Perspektiven auf der Social Media Week Hamburg. 
Ich zitiere daraus mal die zentralen Thesen:(Quelle: Bücherfrauen)
  • Der Content wird stark von Nutzer-Feedback geprägt sein.
  • Das Buch der Zukunft wird nicht zuerst in Printform publiziert.
  • Es wird neue Literaturformen geben und „Nischenliteratur“ rückt stärker in den Marktfokus.
  • „Hochliteratur“ wird teurer, hochwertiger und exklusiver.
  • Die Grenzen zwischen Buch und Software werden stärker verschwimmen.
     .   Das Buch der Zukunft wird im Browser gelesen.
  • Die digitale Form des Lesens, Kommentierens und Verlinkens wird dem Charakter des Buches als Teil eines kommunikativen Austauschprozesses gerechter als das isolierte Lesen einer Printpublikation.
  • Soziale Empfehlungen sind für den Leser relevanter als Bestsellerlisten.
  • Das Buch der Zukunft wird sich in vielen Dimensionen verändern (Textform, Autorschaft, Verbreitung etc.), so dass es sich dem Paid Content immer weiter annähert.
  • Das Buch der Zukunft wird weiterhin die Ordnungsleistungen des herkömmlichen Buchs erfüllen.
Dabei sehe ich zunächst mal eine Demokratisierung des Bücherschreibens, des Herstellens, der Vermarktung und des Lesens dieser Bücher. Insbesondere die Wahlmöglichkeit der Leser und Autoren ist nachgerade revolutionär. Wir müssen nicht mehr vor der Bestsellerliste im Buchhandel stehen und das wählen, was sich gerade am besten verkauft. Leser kaufen das, was ihnen am meisten zusagt und schaffen sich so ihre eigenen Bestsellerlisten. Der Leser bestimmt, was auch in Zukunft gelesen wird, nicht mehr die Torhüter in den Verlagen und in den Feuilletons. Und eigentlich bestimmt es der Autor, denn er hat die Bücher ja geschrieben. Besonders wichtig finde ich den Aspekt, dass Nischenthemen jetzt eher eine Chance bekommen, während sie bisher durch alle Raster fielen (nicht marktfähig!) und fortan in irgendwelchen Schubladen verstaubten. Die Möglichkeit, dass Leser den Fortgang von Geschichten mitbestimmen, erscheint mir gar nicht so neu. Ich war selbst einmal fünf Jahre in einer Schreibwerkstatt, in der gegenseitig an der Entwicklung als Autor und an den Geschichten gefeilt wurde. Aus dieser Werkstatt sind einige heute bekannte Autoren und sogar eine Ebook-Queen hervorgegangen. Auch dort wurde zwischendurch mal über etwas anderes geredet. Für den Entstehungsprozess eine Buches finde ich das auch nach wie vor sehr förderlich und inspirierend. War es eine Vorwegnahme der heutigen Situation, in einer zeit, als unser Marcel Reich-Ranitzki noch stirnrunzelnd verkündete: Internet-Autoren, meine Damen und Herren, sind eine Spezies, die wir nicht ernst nehmen müssen. Nie war ich motivierter und enthusiastischer als in den Zeiten des Feedbacks, sei es mit Testlesern oder Lektoren. Wobei das Lektorat Auge in Auge für mich das Qualitätsmerkmal bleibt. Und das Korrektorat. Leider springen mir beim Anlesen von Ebooks, die mich interessieren, gleich auf der ersten Seite Fehler an, die beim Lesen stören. Die kaufe ich nicht. Bisher habe ich nur einige Ebooks vor allem von Autorenkollegen gekauft, deren Qualität mir von vornherein bekannt war. Das abendliche Lesevergnügen findet weiterhin mit Printbüchern statt.

Wenn mich heute ein Neuautor fragen würde, was ich ihm als Einstieg raten würde, Agentur, Verlag oder Self Publishing, würde ich wahrscheinlich sagen:
Mach das, womit du dich am meisten identifizieren kannst. Das sagen wir uns auch als Kollegen in unserer täglichen therapeutischen Arbeit. Und mach es, mit allem Drum und Dran, auf die bestmögliche Weise, die du zu leisten vermagst. Dann kann sich am Ende ein jeder sagen, dass er die Leser bekommt, die er verdient hat.

Heute schon gezweifelt?

Montag, 2. März 2015

Heute schon gezweifelt?

Es war ein langer Prozess des Zweifelns, der kritischen Analyse, des Wiederaufrichtens und Weitergehens, bis ich mich vor einigen Tagen entschloss, mein nächstes Buch als Self Publisher herauszugeben. Es ist mein achter fertiger Roman, der neunte liegt startbereit auf der Festplatte. Und jetzt habe ich begonnen, den zehnten zu schreiben. Warum dieser lange Atem, diese Immerwiederbegeisterung für einen Text, für das Schreiben überhaupt? Das Schreiben liegt ihr im Blut, sagte eine Journalistin, als sie mich bei mir zu Hause für die hiesige Zeitung interviewte. Woher konnte sie das wissen? Woher konnte sie wissen, dass ich "unermüdlich" bin? Ein paar schöne Antworten darauf habe ich bei diesen Autoren gefunden:
Schreibtipps für Bauchschreiber-sechster Streich von Sabine Schäfers
Schriftzeit von Stefan Waldscheidt
Alice Gabathuler beschreibt, wie enthusiastisch der Jugendliteraturtag in Baden angenommen wurde: 1. Jugendliteraturtag Baden
Sabine Schäfers und Stefan Waldscheidt kommen zu dem Schluss, dass ein Ende des Selbstzweifels, der für Schriftsteller eine absolute Bremse, aber auch ein Motor, ein Füllhorn der Inspiration sein kann, durch das Weiterschreiben erreicht wird. Und das gilt nicht nur für das Schreiben. Ganz philosophisch sagte doch schon Camus, dass der Sinn des Lebens darin besteht, weiterzuleben. Und das Beste daraus zu machen, natürlich, denn es gibt keine Zeit zu verschenken, weil es das Einzige ist, was uns gegeben wurde. Sagte Benjamin Franklin. Bei einem Rückschlag: Aufstehen, Krone richten, weitergehen (Sabine Schäfers). Nicht verzweifelt bei Facebook, Twitter und Co. posten, dass man ein Buch geschrieben hat, keine Umsonst-Lesungen organisieren, zu denen neben den Verwandten und Freunden vielleicht noch drei Interessierte kommen, sondern: weiterschreiben. Schriftsteller, die ich am meisten bewundere, sind die, die ihr Schreiben innerhalb ihres Leben inszenieren, ihr Leben eins wird damit. Und so werde auch ich es halten: Selbst wenn der Buchhimmel über uns einstürzen sollte, selbst wenn die Verlage zu Flatratedienstleistern werden, wie Bastei Lübbe es jetzt mit Heftromanen beginnt, selbst wenn es immer schwieriger wird, etwas vom Riesenkuchen, den sich immer mehr Autoren teilen müssen, abzubekommen, werden wir Autoren immer schreiben, solange es Menschen gibt, die lesen!

Ran den SP-eck. Selbstbestimmt schreiben