Mittwoch, 25. Februar 2015

Ran an den SP-eck! Selbstbestimmt schreiben

In den letzten Tagen habe ich mich mit meiner Steuererklärung für 2014 beschäftigt. Das Elster-Formular geht mir dabei immer leichter von der Hand. Habe sie auch fertig, bis auf ein Formular, das mir noch geschickt werden muss. Dabei habe ich mir wieder einmal an den Kopf geschlagen. Das Verlagskonto wies einen dreistelligen Minusbetrag auf, während sich die Self-Publisher-Einnahmen (eines einzigen Buches) in acht Monaten auf mehr als die Gesamtjahreseinnahme eines durchschnittlichen Verlagsbuches summierten. Den durchschnittlichen Erlös von einem größeren Verlag, wohlgemerkt. Die Kleinverlagsbücher sind schon weg oder befinden sich im modernen Antiquariat. Ich wiederhole mich gern: Was nützen mir einige zehntausend verkaufte Bücher, die ein paar Monate auf dem Stapel lagen, wenn davon nichts bleibt, nicht einmal eine Einnahme? Und auch keinerlei Einnahmen aus der Verramschung.

Jetzt kam gestern die Standardabsage einer Agentur, der zweiten, der ich meinen historischen Kriminalroman geschickt hatte. Sechs Tage hatte es gedauert, bis eine Eingangsbestätigung kam, zwölf Tage bis zur Absage. Die dritte Agentur schickt grundsätzlich keine Absagen, womit das Thema denn auch erledigt wäre. Ich möchte das Manuskript jetzt nicht mehr herumschicken, das geht allmählich an die Schreibsubstanz und an die Lebenszeit. So habe ich Exposé und Leseprobe jetzt an eine befreundete Lektorin geschickt, um zunächst ein Probelektorat zu machen. Die Erfahrung mit dem E-Book "Teufelswerk" hat mir Mut dazu gemacht. Eine einmalige Rabattaktion im Juni 14 brachte die Geschichte zum Laufen, bis heute. Die Abhängigkeit von Amazon ist mir durchaus angenehm. Bei keinem meiner Bücher habe ich bisher dieses tolle Gefühl genossen, alles selber entscheiden zu können. Mich nicht unter Druck setzen zu müssen. Reklame musste ich keine mehr machen, und ich weiß auch nicht, ob sie was gebracht hätte. Auf Facebook hatte ich das Buch vorgestellt, und ein paar Leute wollten es kaufen und lesen. Ob sie es getan haben, weiß ich nicht. Auf jeden Fall habe ich es den Verlagen und der Agentur zu verdanken, dass ich mir einen gewissen Namen gemacht habe. Selbst mein Ebook erscheint auf einer Piratenplattform, hört, hört. Aber so kann ich nicht ewig weitermachen, es ist einfach zermürbend. Und deshalb freue ich mich, jetzt endlich den Entschluss gefasst zu haben.

Ab Anfang Juni habe ich Urlaub und muss danach den ganzen Sommer nicht und nie mehr arbeiten für meinen Unterhalt. Da ist es eine gute Perspektive, wenn ich frei beweglich bin und Zeit habe, meine Autorentätigkeit weiterzuentwickeln. In diesem Sommer könnte ich mein erstes ganz eigenes Ebook herausbringen, später dann den Schwarzwaldkrimi. Und ich schreibe schon wieder, einen alt gehegten Wunschroman über eine Begebenheit aus den dreißiger Jahren, über das alte und neue Hamburg und die Steppen und Urwälder Argentiniens. Am Wochenende  war mal wieder Trübsalwetter angesagt. Beim Kruschteln in meinem Schreibtischarchiv entdeckte ich Briefe, die ich als Neunzehnjährige an meine Familie aus Argentinien geschrieben hatte. Auf Pergament mit einer alten Reiseschreibmaschine. Die Reiserouten konnte ich dabei gut verfolgen-nach Puerto Iguaçu und nach Bariloche. Dabei könnte ich mir gut vorstellen, auch wieder für Verlage zu schreiben, ein Wander-und Reisebuch zum Beispiel, biografische Romane und psychologische Ratgeber.


Donnerstag, 19. Februar 2015

Alte Kunst des Wanderns



 Kürzlich erstanden: dieses Buch über das Wandern, mit zwölf Wanderbeschreibungen des Autors, Ulrich Grober, in deutschen Landen. Auf den Spuren von Autoren, unterwegs in den Bergen, an der See und im Flachland. Es verlangsamt den Puls und macht gleichzeitig unbändige Lust auf umfassende Naturerfahrungen. Wandern, die wieder einmal neue Antwort auf die Beschleunigung und Entsinnlichung der Welt. Praktische Tipps dabei, aber kein Wanderführer. Habe es halb durch und denke nur: So ein Buch hätte ich immer schreiben wollen - nun bin ich glücklich, es zu lesen! Zitat aus dem Klappentext:"Wandern als Lebenskunst, Selbsterfahrung und die Wiederentdeckung der Langsamkeit."


Sonntag, 15. Februar 2015

Wertschätzung des Autors

Ja, ich gebe es zu: Jedes Mal, wenn ich meine Verkaufsberichte bei Amazon abrufe und sehe, dass der rote Strich nach oben gegangen ist, habe ich so ein warmes Gefühl im Bauch. Beim blauen ist dieses Gefühl nicht ganz so warm. Gott sei Dank oder dem Leser sei Dank haben sich die roten Striche jetzt wieder  vermehrt, die blauen sind eingeschmolzen. Vielleicht haben die Leser gemerkt, dass sie gar nicht so schnell lesen können, wie die Ausleihmodalitäten bei Kindle Unlimited es vorschreiben. Bin ich nun eine Autorin, die es nur auf Verkäufe und auf Verdienst abgesehen hat? Nein, und nochmal nein, da müssen wir schon tiefer hinter die Kulissen der Akteure schauen. Und es wird dann auch ganz schön vertrackt. Ich empfinde diese Käufe der Leser als Wertschätzung. Der Wunsch danach ist eine ganz alte und starke Motivation eines jeden Menschen und somit auch eines jeden Autors. Ich habe gestern, nach einem unerwartet schönen Tag mit Ausflügen, einmal in Autorenblogs herumgeschaut und ältere Beiträge von Kollegen und Kolleginnen gefunden, die mir zu denken gegeben haben. Da war die Rede von dem Capuccino und vielleicht noch einem Kuchenstückchen, das sich eine Autorin vom Verdienst eines Buches leisten konnte. Ein anderer beschrieb, wie er als A-Autor mit Hunderttausenden von Verkäufen den Bettel schmiss und seitdem zwischen Verlagen und Self Publishing hin und her pendelt. Bei Montsegur gab es gerade eine Diskussion zum Artikel "Schreiben ist ein Hobby der Reichen". Selbst absolute Bestsellerautoren fühlen sich in dem Karussel, in dem von allen Seiten am Verdienst genagt wird, nicht mehr wohl. Der Satz einer britischen Autorin spricht Bände:„In 2012, Susan Hill, author of The Woman in Black, told her Twitter followers that she was broke, in spite of the fact that the film of her book had earned £100 million worldwide.“

Dazu möchte ich mal eine eigene kleine Rechnung aufmachen. Nach Abzug aller Steuern und der Agenturgebühren bleiben mir von einem Taschenbuch, das 9,99,-E kostet, 0,20,-E pro Buch. Das wird dann alles mit dem Vorschuss verrechnet und man kommt selten in schwarze Zahlen. Gäbe es diesen Vorschuss nicht, würde ich mit 11 000 verkauften Büchern 2200 Euro verdienen.
Jetzt gucken wir uns mal die Variante des Self Publishings an. Neuerdings muss Amazon ja 19% Mehrwertsteuer abziehen. Wenn mein Buch 3,99,-E kostet, wären es 70% von 3,23,-E, sind 2,26. Davon noch mal 7%, die der Fiskus draufschlägt, machen immer noch 2,10,-E pro Buch. Würde ich das 11000mal verkaufen, hätte ich 23 100,-E in der Tasche. Bei 500 Stück wären es immerhin 1050,-E. Wenn ich den Preis anpasse und 4,49,-E für das Buch nehme, wären es 3,64 nach MWS, 70% sind 2,55 E. Minus 7% 2,37,-E. Endergebnis: 1.275 Euro bei 500 Verkäufen!
Wie würden Sie entscheiden, wenn Sie ein Buch geschrieben hätten?

Der Besuch in einer großen Traditionsbuchhandlung in Reutlingen gesetrn zeigte das ewig gleiche Bild, seit Jahren. Ein paar Büchertische, eine lange Krimiwand, drei Regale Historische (nanu, da waren doch vorher nur zwei gewesen?), allgemeine Romane, die Regionalecke und große Flächen mit Billigware. Dazwischen rosa und hellblauer Tand sowie Jungs mit Schwertern, die sich wie im Kino bekämpfen. Ein eigenes Buch gleich welcher Couleur wäre hier unauffindbar. Dagegen scheinen meine Bücher im Internet gefunden zu werden, auch wenn mir die Kanäle nicht immer so durchsichtig sind.

Ich gehe davon aus, dass wir Autoren wertgeschätzt werden wollen. Wir möchten Anerkennung für die Leistung bekommen, die wir erbracht haben, wie jeder andere Schaffende auch. Und wir möchten für diese Leistung bezahlt werden und nicht noch denen dankbar sein müssen, die meinen, das kostenlose Herunterladen und Lesen sei schon Wertschätzung genug. Da es keine anderen Wertschätzungen gibt zur Zeit und ich wieder mal auf eine Entscheidung warten muss, halte ich mich an die Leser, die mein Buch herunterladen und dafür einen mehr als fairen Preis zahlen.

Mittwoch, 11. Februar 2015

Das Verkaufsexposé und die Ebookleser

Seit dem letzten Eintrag habe ich Schwerstarbeit geleistet, so scheint es mir, vielleicht bin ich aber auch nur vom Wetterwechsel so müde. Ich habe nicht gewusst, dass es eine derartige Wissenschaft für sich ist, ein Verkaufsexposé zu schreiben. In meinen bisherigen Verlagen ging es da immer recht gemütlich zu, das muss ich sagen. Dem ersten Verleger schrieb ich ein paar Sätze, die ihn schon völlig davon überzeugten, dass er das Buch nehmen würde, beim zweiten lief es ähnlich. Dann gings zum Agenten, der mich dann sieben Jahre lang vertrat. Auch hier genügte eine kürzere Inhaltsbeschreibung und eine Leseprobe, die ihn grundsätzlich davon überzeugten, dass da ein Potenzial wäre. Und später genügten halbseitige Beschreibungen mit Cliffhanger für den Lektor, der immer erst kurz vor dem Lektorat das Langexposé mit Auflösung bekam. Jetzt habe ich ein bis zwei Wochen intensiv an einem Verkaufsexposé gearbeitet. Und diesmal scheint es auch ziemlich professionell zu sein. Ca. zwei Normseiten, mit allem Drum und Dran. Wertvolle Hinweise dazu erhielt ich bei der Autorin und Lektorin Anni Bürkl: Was in ein Exposé gehört und was nicht. Gut sind auch die Tipps auf der Webseite der Agentur Thomas Schlück. Dort habe ich mich heute nicht beworben, sondern bei zwei anderen, zwei von den vielen, die ich ganz genau geprüft habe - mitsamt den Autoren, die dort vertreten sind und ihren Büchern.

Wer meine Entwicklung bis hierher verfolgt hat, wird sich jetzt fragen: Steht denn die Entscheidung zwischen Verlagsautor und Self Publisher immer noch an? Jein, würde ich antworten. Was ich bei einem Rundumgucker bei Buchreport usw. gesehen habe, zeigt mir, dass ich mit SP weiterhin die unschätzbaren Vorteile der Cover- und Klappentextgestaltung habe und mehr verdiene als mit Verlagsbüchern. Was beiden Veröffentlichungsformen gleich ist, wäre die Notwendigkeit der Sichtbarkeit und die Schnelligkeit, mit der man neue Bücher produzieren muss. Dazu habe ich einmal die andere Sicht gesehen, nämlich die der Ebookleser. Was halten die eigentlich von den Self Publishern?
  • Selbst ist der Autor 
  • 29% sagen, dass der Buchmarkt durch Selfpublishing größer und vielfältiger wird
  • 25% der Befragten stimmt der Aussage zu, dass es durch Eigenpublikationen der Autoren mehr Bücher gibt, die ihrem persönlichen Geschmack entsprechen
  • 31% finden gut, dass die Texte preiswerter sind als andere Publikationen
  • 22% sind der Ansicht, dass die Beziehung zwischen Lesern und Autoren von Selfpublishing-Texten intensiver ist
  • Auf der anderen Seite vermissen 24% die Qualitätskontrolle der Verlage
  • 15% sind der Meinung, dass durch Selfpublishing zu viele schlechte Bücher auf den Markt kommen. 
Die Verlage sollten mit Self Publishern zusammenarbeiten statt über Monopolisten zu jammern, meint die Erfolgautorin Virginia Fox. Es geschieht jetzt auch immer häufiger, dass Verlage erfolgreiche Self Publisher einkaufen. Nur am Rande: Damit wären wir wieder beim Bestseller-Prinzip. Nur, wer möglichst viel verkauft, hat eine Chance, alle anderen werden abgestraft. Auf der anderen Seite entdecken die Verlage auf diese Weise Talente, die sie vorher abgelehnt haben. Es ist nicht einfach, diesen Spagat auszuhalten. Wenn ich innerhalb der nächsten zwei Wochen erfahren sollte, dass meine beiden letzten Bücher nicht marktfähig wären, gehe ich ins Self Publishing, wohin sonst. *zwinker*



    Samstag, 7. Februar 2015

    Verstaubtes Leben und Schreiben

    Impression aus dem botanischen Garten in Tübingen
    Wenn man sich einmal an seinem Arbeitsplatz umsieht, an dem man jahre-, wenn nicht jahrzehntelang geschafft, sich gefreut, gelitten, betreut, diskutiert und geschrieben hat, bemerkt man irgendwann, dass alles irgendwie verstaubt und eingerostet wirkt. Bei mir ist ja von zwei Arbeitsplätzen die Rede, einer besteht aus mehreren Häusern, einigen Klienten und Kollegen, der zweite aus einer Ecke meines Wohnzimmers. Da genügt es nicht, den Staublappen zu nehmen oder einen von diesen modernen Mops, denn darunter kommt das Ewigalte und Gleiche wieder zum Vorschein. In meiner beruflichen Arbeit sind es die immergleichen Themen, die "Problemtrancen" und das SichimKreisedrehen. In den Foren, in den Blogs, ja auch im gesamten Social Media sind es irgendwann ebenfalls die immergleichen Themen. Und ab einem gewissen Punkt ist man sicher auch als Autor mit der Gefahr konfrontiert, sich zu wiederholen. Da gibt es dann ähnliche Konflikte, vielleicht Figuren, die sich ähneln, ein Aufbau, der sich wiederholt. Das Verharren in einem Genre oder einer bestimmten literarischen Form. Kurz und gut, es geht darum, dass sich alles abnutzt, dasselbe des Immergleichen ist, Staub und Rost ansetzt. In der Beziehung zum Partner, zu Freunden und zur Familie macht sich Gewöhnung breit. Es nützt wenig oder nur für kurze Zeit, wenn die Möbel erneuert, das TV-Gerät, der Computer ausgetauscht werden, wenn eine Auszeit genommen wird oder ein Paar auf eine ungewöhnliche Reise geht. Neuer Wein in alten Schläuchen! Auch strategische Diskussionen darüber, was alles anders werden muss, verlaufen oft im Sande. Selbst bei der täglichen Kocherei macht sich Einerlei breit, kommen in schöner Regelmäßigkeit Spagetti Bolognaise, Linsen mit Spätzle oder Bratkartoffeln auf den Tisch. Wie wäre es denn, mal wieder Königsberger Klopse zu kochen?

    Wirklich wirkungsvoll und änderungsaffin sind zum Beispiel neue Kollegen, neue Klienten, neue Ideen, eine andere Betrachtungsweise, die von außen angeregt werden kann. Bei mir war es die Beschäftigung mit den Grenzen, die etwas ausgelöst haben könnte. Heute war alles anders und neu, jeder Baum am Straßenrand wirkte wie eben erst dahingesetzt, jedes Glitzern des Schnees war noch niemals da gewesen, hinter jeder Biegung öffnete sich wie von Zauberhand eine neue, andere, schönere Welt. Und dazwischen, an warmen, trockenen Plätzen in den Gärten, schauten schon die ersten Schneeglöckchen, Krokusse und Winterlinge aus dem halb gefrorenen Boden.Wir waren im Land des Romans unterwegs, für den ich nun endlich ein klares und aufschlussreiches Exposé geschrieben habe. Ob das nun wirklich eine Änderung des Zustands ist, in dem ich wochenlang verharrte? Der Roman ist mein absolut eigener, er wartet mit einer Zeit und mit Figuren auf, die alles andere als "gängig" sind. Aber das ist im Augenblick zweitrangig. Wichtig ist, dass etwas wieder in den Fluss gekommen ist, und das strahlt auf alle anderen Bereiche aus.



    Mittwoch, 4. Februar 2015

    Grenzerfahrungen

    Zur Zeit beschäftige ich mich verstärkt mit dem Thema "Grenzen", sowohl was das Berufliche als auch das Private betrifft. Dabei kommt mir ein Bild in den Sinn. Wir verbrachten einmal, vor langen Jahren, einen Tag im schönen Tal der Nagold bei Altensteig. Da waren die Tannen noch nicht umgeblasen, es gab einen klaren Fluss mit Blumenwiesen drum herum, und es gab  eine Forellenzuchtstation, in der man auch foliengebackene Forellen essen konnte. Es war Heidelbeerenzeit, soweit ich mich erinnere. Und wir hatten einen Hund, eine Mischung aus Schäferhund und Dackel, "Wuschel" genannt. Jemand aus meinem engeren Umfeld führte also diesen Schäferdackel an der langen Leine, nein, er führte ihn nicht, sondern sprang ihm hinterher, über Stock und Stein und Heidelbeerbüsche. Da nimmt es sicher nicht Wunder, dass dieser sehr geliebte Hund nicht mehr auf Befehle wie SitzPlatzPfui gehört hat, vorher schon nicht gehört hat, denn er kam aus einer Familie, die ihn wegen seiner Kapriolen nicht mehr halten konnte und wollte. Dieser Hund war einmalig! Sein Schäfer-Ich machte ihn so stark, dass er auch auf weit größere Hunde losging (und dabei nicht nur einmal Haare lassen musste). Als Dackel mit krumm gebogenem Schwanz war er treu, anhänglich und sehr eigenwillig. Und vor allem selbstbestimmt. So selbstbestimmt, dass er am Ende seines Lebens, bei einem Freund untergebracht, während ich im Krankenhaus weilte, bellend einem Reh in den Wald nachlief und niemals mehr gesehen wurde.

    Also, diese Sache mit der Leine. Hätte jemand den Wuschel geführt, wäre er wohl nicht von einem Jäger erschossen worden. Da sehe ich noch ein weiteres Bild vor mir, aus einer Supervision. Als Therapeutin bin ich der Pflock, so wurde es uns verdeutlicht, um den sich der Klient an einer langen Leine dreht. Er wird also gehalten und kann sich gleichzeitig frei bewegen. Das sind die Grenzen, wie sie sein sollten, durchlässig und nicht zu starr. Es gibt Menschen, die nicht "nein" sagen können. Und es gibt Leute, die fast alles abwehren, die werden dann Egoisten genannt. Es ist für uns immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viele angebliche Probleme und Störungen sich durch richtige Grenzziehungen beseitigen lassen. Dieses komische Gefühl im Bauch sagt uns, dass jemand zu weit gegangen ist. Wenn jemand unfähig ist, in seinen Beziehungen, bei seiner Arbeit oder sonst im Leben Genzen zu setzen und sich damit massiv schadet, muss man diese Grenzen manchmal für ihn setzen. Und alle sind erstaunt, wie leicht sich dadurch alles löst. Und wie die Grenzverletzer selbst daran wachsen können.

    Selbst im Bereich des Schreibens haben wir mit diesen Grenzen zu tun. Das Schreiben an sich ist häufig eine Grenzüberschreitung, im wahrsten Sinn des Wortes. Wir überschreiten eine Grenze, indem wir uns vom eigenen Ich und vom eigenen Leben entfernen. Das wird Flow genannt oder Schreibrausch oder manche fühlen sich, als ob sie "brennen". Im Normalfall nehmen wir dadurch keinen Schaden, wenn wir währenddessen noch auf unsere Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlafen achten. Die Grenzen kommen ins Spiel, wenn andere Menschen auf der Bühne erscheinen. Fängt an mit dem Testleser, der eigene Vorstellungen von unserem Text hat und diese durchdrücken will. (Glücklicherweise habe ich einen, der die Grenzen kennt, meinen Text aufgreift und ihn verbessern hilft). Geht weiter mit dem Verlag, der mit unserem Text einen Markt bedienen möchte (weil der Verlag eben auch seine Grenzen hat). Und es betrifft den Lektor mit seiner eigenen Sprache. Wenn er die Stärken des Autors hervorheben kann und die Schwächen modelliert, hat er seinen Job gut gemacht. Am stärksten aber spüre ich die Grenzen beim Veröffentlichungsprozess. Wo liegen die Grenzen des Autors, was die "gängigen Themen" betrifft? Wie stark ist seine Geduld beim Warten auf Entscheidungen? Hat er Grenzen, was Sichtbarkeit, Verkäufe und Rezensionen betrifft, bzw. Unsichtbarkeit, Unverkäuflichkeit und mangelnde Leserstimmen? Welche Bedeutung hat das Veröffentlichen für ihn? Geld verdienen, gesehen werden, Lob, Anerkennung, Selbstverwirklichung? Bei welchem Anbieter kann ich mich für mich optimal in meinen Grenzen bewegen? Bei einer Agentur, einem Verlag, als Self Publisher mit oder ohne Distributoren? Meine Fähigkeit, mich abzugrenzen, sei gut ausgeprägt, so hörte ich kürzlich von einem Azubi unseres Betriebs. Und doch muss ich mich und andere immer wieder daran erinnern, dass man tagtäglich mit seinen Grenzen und denen anderer konfrontiert wird, und dass man selbst derjenige ist, der die Entscheidungen trifft.