Montag, 4. Mai 2015

Der Horror mit den Landärzten

Auf eine bestimmte Weise gesegnet sind die Menschen, die in einer Großstadt leben, noch dazu in einem Ballungsgebiet. Auf dem Land kann man seine blauen Wunder erleben, wenn es mal zwickt und zwackt. Ich will heute eine kleine Geschichte erzählen von einem, der auszog, sein spezielles Leiden behandeln zu lassen. Nennen wir ihn Paul S. Paul S. bemerkte eines Tages, dass rote Flecke auf seinen Armen entstanden waren. Er zeigte sie seinem Hausarzt, der lakonisch meinte, das könne eine beginnende Schuppenflechte sein. Der vielbeschäftigte Arzt drückte ihm ein Rezept für eine starke Cortisonsalbe in die Hand. Paul S. cremte die befallenen Stellen gewissenhaft ein und musste feststellen, dass über Nacht immer neue Herde dieser roten Flecken erblühten, auf den Beinen, dem Rücken, unter den Achseln, überall. Mehr als 20% der Haut darf man gar nicht behandeln, das wusste er aus dem Beipackzettel. Es musste also eine Überweisung an einen Hautarzt her. Nur - in seiner Stadt gab es keinen Hautarzt, der letzte war schon vor einiger Zeit in Rente gegangen, die andere Ärztin nimmt nur Privatpatienten. Also ließ er sich einen Termin in der nächstentfernten Stadt geben. Bei einem Rückruf stellte sich heraus, dass es gar kein Hautarzt, sondern ein Hausarzt war. Also, nochmal frisch gewagt, um zu gewinnen. Ein Termin in der nächsten nahegelegenen Stadt. Dort quollen die Wartenden schon aus der Tür heraus, kichernde Sprechstundenhilfen saßen vor ihren Computern, und dazwischen irrte ein gestresster Arzt hin und her. Wartezeit eineinhalb Stunden. Geht man so lange spazieren. Kommt man zurück, soll es noch mal zwei Stunden dauern. Grrr, Paul S. ist kurz davor, in die Luft zu gehen! Dann ist Mittagspause, nichts geht mehr.

Nächster Versuch in der etwas weiter gelegenen Universitätsstadt, die werden doch für ihre Hautpatienten besser sorgen als auf dem Land. Inzwischen ist der ganze Körper befallen. Überfüllter Warteraum, stundenlanges Warten, nachher wurde die Tür zugesperrt, nachdem Paul S. mal kurz in der Apotheke war. Wieder umsonst. Das Leiden ist inzwischen zu einem psychischen Problem geworden, zu einem Popanz, zu einer Tirade gegen den Inhumanismus der Welt! Jemand sagt dann mal, das sehe ja aus wie Wanzenstiche. Sind die Viecher vielleicht irgendwie in die Matratze geraten? Paul S. ist so verzweifelt, dass er ins Krankenhaus fährt. Wird aber wieder weggeschickt, weil er kein Fieber hat. Noch ein Versuch bei der Notaufnahme: Zwei Stunden Warten, nichts geschieht. Nur einmal kommt ein Ehepaar und wird gleich reingelassen. Der nächste Hausarzt über den Berg vermutet Krätze. Kann eigentlich nicht sein, denn bei Krätze sieht man die Bohrgänge der Milben. Dann endlich ein kompetentes Ärzteteam in einem Ärztehaus, das Paul S. beim Verdacht auf Krätze gleich drannimmt. Gewebeprobe: Nun hat das Ding endlich einen Namen, nämlich Knötchenflechte! Man weiß nicht, wo es herkommt, es soll ein autoimmunes Problem sein. Wieder Cortisonsalbe. Wieder blühen täglich neue rote Flecken auf.

Inzwischen sind sechs Wochen vergangen. Kein Arzt hat Paul S. irgendwie helfen können. In der Uniklinik wird ihm gesagt, er müsse eine Nummer ziehen und sechs Stunden warten. Das Ärzteteam ist in den Urlaub gefahren und hat das versprochene Rezept für eine Spezialsalbe nicht geschickt. Verschiedene Apotheker beraten ihn, sagen, das könne ja wohl nicht sein. Die Krankenkasse nimmt die Vorfälle entsetzt zur Kenntnis. Da platzt ihm irgendwann der rotgesprenkelte Kragen. Er fährt abends spät ins Provinzkrankenhaus und meldet sich als Notfall, sein Hautarzt sei im Urlaub. Kommt sofort dran und erhält ein Rezept für Cortisontabletten. Man muss sich nur zu helfen wissen, muss frech sein, ein Schwein sein in dieser Welt, denn wenn das jeder machen täte ...Mit fünf bis zehn Tabletten müsse es eigentlich vorbei sein, heißt es. Naja, in ein bis zwei Jahren soll diese Krankheit sowieso von selbst verschwinden. Hat Paul S. sich sagen lassen.

In der Online-Zeitung steht, dass es eine Landflucht der Ärzte in Baden-Württemberg gebe. Viele seien in den Ruhestand gegangen, für junge Ärzte seien die Bedingungen auf dem Land zu unattraktiv geworden. Teilweise seien sie auch über die Schweizer Grenze gegangen, weil sie da mehr verdienen. Die Regierung hat jedem, der sich neu auf dem Land niederlässt, 30 000 Euro versprochen. Aber das hat wohl bisher nicht gezogen.

2 Kommentare:

  1. Boah, das ist ja extrem krass! Echtes Notstandsgebiet!
    Dafür haben wir im elässischen Landkrankenhaus gleich hinter der Grenze inzwischen mehr deutsche Ärzte als französische. Die kommen zu uns, weil die Freizeit geregelter ist und die Ärzte ausgetauscht werden, bevor sie zu viele Überstunden sammeln. Was auch den PatientInnen nützt.
    Kürzlich habe ich auch von einer deutschen Stadt gehört, in der kaum noch Ärzte Kassenpatienten nehmen. Das feine Gesundheitssystem ...
    Herzlichst, Petra

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  2. Du sagst es, Petra, danke für den Kommentar. Paul S. hat jetzt wieder Hoffnung, wie ich hörte - die Ärzte haben jetzt aufgemerkt. Es ist gut, dass du noch die anderen Gründe nennst, nämlich Freizeitregelung und Überstunden. Das Dilemma der Ärzte liegt nämlich sicher nicht nur im Verdienst!

    Herzlichst
    Christa

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