Donnerstag, 18. Juni 2015

Dem Tag mehr Leben geben

Ergänzend zum letzten Beitrag Wie die Zeit vergeht und Sie sie verlangsamen können noch ein paar Episoden, die unsere Zeit mehr erfüllt und von solchen, die ihren Besitzern eher einen Schlag in die Magengrube versetzt haben, von denen sie sich nicht mehr so schnell erholen sollten. Jeder, der meinen Blog regelmäßig verfolgt, weiß, wie sehr wir jedes Jahr unter der Qual der Wahl des Urlaubs leiden. Es wird nicht geflogen, es wird nicht mit der Bahn und schon gar nicht mit dem Bus gefahren (ich allein dagegen fahre öfter mit der Bahn durch die ganze Republik). Ein Fahrrad kann ich bei mir nicht unterstellen, und zu Fuß kommt man nur bis zur nächsten und übernächsten Baustelle. Doch das Autofahren, von vielen verpönt, aber von der Mehrheit mit Begeisterung und dem Verteidigungswillen von Hirschbullen betrieben, hat wie alles seine Vor - und seine Nachteile. Man kommt fast überall hin und kann anhalten, wo man will. Ein Ort kam uns in den Sinn, an dem wir uns schon im letzten Jahr sehr wohl gefühlt hatten: Das Ellwanger Seenland. Die Anfahrt war allerdings, wie alle An - und Abfahrten seit Jahren, ein schweres Stück Arbeit: wegen der Umleitungen und Baustellen. Umleitungen führen dazu, dass man ums Ziel herumgeleitet oder davon weggelockt wird. Aber irgendwann ist das Ziel erreicht, und tatsächlich ist das schöne Appartment mit Garten für eine Nacht frei. In der Stadt blühen und duften die Linden wie im letzten Jahr, die Kirchen sind offen und die sonnendurchfluteten Straßen voller Leben und kulinarischer Verlockungen. Für den Abend fand sich sogar noch ein See, um den man herumwandern konnte, ein Naturschutzgebiet mit gelben Lilien und Seerosen und ein Biergarten, von hohen Kastanien und Weißbuchen überschattet. Und so ging es am nächsten Tag grad weiter: Unter der Woche ist Rothenburg ob der Tauber nicht ganz so überlaufen. Neben viel Kitsch kann man auch schöne Dinge kaufen, doch für die Toilette im Café und für die Kirchenbesuche muss man extra zahlen. Auch hier blühen und duften die Linden, das Ganze ist von einem fast provenzalischen Licht überstrahlt.


Umwege und Baustellen können allerdings auch dazu führen, dass man Neues entdeckt und erlebt, wie die Geschichte mit dem Sauerbraten in der kleinen Wirtschaft auf den Höhen. Zu dem Braten kamen wir, weil die Straße nach Creglingen im Taubertal (mit dem berühmten Altar von Tilman Riemenschneider) gesperrt war. Die Themen der drei anderen Gäste kreisten ebenfalls um den Verkehr. Ein Ungar wollte von einem amerikanisch sprechenden Münsteraner wissen, wo es hier - in der Pampa - zur Autobahn gehe. Ich glaube nicht, dass er hingefunden hat. Man merkt hier schon allmählich, was uns ständig daran hindert, unseren Tagen mehr Leben und weniger Verdruss zu geben!

Denn neben der Hin - droht auch jedes Mal die Rückfahrt. Das Hohenloher Land ist leider nicht mehr die ruhige paradiesische Oase zum Entfalten der Sinne, auch wenn es das Hallesche Landschwein immer noch gibt. An der Autobahn staubt es kilometerlang aus den Baustellen, in Schwäbisch Gmünd, von mir als mittelalterlicher gewaltiger Schöpfungsakt beschrieben, bricht viertelstundenweise der gesamte Verkahr zusammen. Eine Apokalypse! Und das nur, weil man seit der Landesgartenschau verkehrsmäßig viel verbessert, extra einen Tunnel gebaut hat, in dem es einen Unfall gab, zu dem der ADAC nicht mehr durchkam. Auf einem anderen Tripp, bei dem wir uns durch Umleitungen immer weiter entfernten, sahen wir die Auswirkungen von Stuttgart 21. Eine Schneise der Verwüstung, glücklicherweise nur auf einem ca. 300m breiten Streifen hoch oben auf der Schwäbischen Alb. Alles Leben, was man sich eingesaugt hatte, wurde wieder ausgepresst wie aus einer Zitrone. So sind wir jetzt zufrieden, dass es den ganzen Tag regnet und wir nicht wieder überlegen müssen, wohin wir denn in den Urlaub fahren könnten. Und auch nicht streiten, wer denn nun wieder schuld war, du oder ich oder die Regierung oder das Wetter oder die anderen Autofahrer, die nicht autofahren können und sich benehmen wie die röhrenden Hirsche.

4 Kommentare:

  1. Ach je, liebe Christa,

    Baustellen - die nehme ich inzwischen wie einen unvermittelten Anlass zum Abschalten. Ebenso wie Ampeln, Schranken, Stau. Ich hänge meinen Gedanken nach und höre Musik oder löse das nächste Plot-Problem :)

    Liebe entschleunigte Grüße
    Sabine

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  2. Es gab mal Zeiten, da war das auch bei mir so. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass es jemals so viele Baustellen wie in den letzten Jahren gegeben hat. Bei uns in Baden-Württemberg sind es die Grünen, die jetzt alles auf einmal reparieren. Stuttgart (21) ist nicht mehr wiederzuerkennen. Ampeln und Schranken sind gut zum Abschalten, Stau kann man vermeiden, Baustellen aber sind im höchsten Grade verwirrend, man entkommt ihnen nicht. Abgesehen davon sollte ich wirklich wieder anfangen zu plotten und zu schreiben, die Pause war jetzt lang genug! ;-)

    Lieben Gruß
    Christa

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  3. Liebe Christa,
    Dieser Beitrag nimmt einen wirklich zurück in Zeiten, als es noch keine Navis gab. ;-) Menschen, die nach dem Weg fragen, sind mir schon lange nicht mehr begegnet, wenn ich selbst frage, bekomme ich auch als Fußgängerin oft Antworten wie: "Da, wo die Stimme die Brücke ansagt, müssen sie dem Navi folgen!"

    Mal eine andere Frage: Wenn die Baustellen nicht da wären, wenn da nicht so viel in den Straßenbau investiert würde, der es stellenweise ja übel nötig hat, wie würden die Leute dann schimpfen? Einen Vorteil hat dieses "alles auf einmal" - es wird vielleicht auch auf einmal fertig? Stuttgart allerdings meide ich schon lange großräumig, mit Stuttgart 21 hat das als Ziel vollkommen verloren.

    Ich begeb mich dann auch mal auf die Straße und fahre eine Schleichstrecke, die kaum einer will ...

    Herzlichst, Petra

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  4. Liebe Petra,
    die Vorstellung, dass dann auch alles auf einmal fertig sein könnnte, hat etwas Erfreuliches ...ursprünglich fand ich es ja auch gut, dass die Grünen keine neuen Straßen bauen, sondern die schlaglochgepflasterten Wege und maroden Brücken sanieren wollten. Wenn allerdings Stuttgart 21 fertig ist (wann, weiß ich nicht mehr genau, vielleicht 2021, bis jetzt gibt es nur riesige Baustellen, Erdaushübe und blaue Rohre für das Wasser), haben wir lediglich erreicht, dass die Leute in einer halben Stunde in Ulm sind statt in einer Stunde. Und das sich etliche mit den Grundtsücken der Bahn eine goldene Nase verdienen können.

    Den Navi könnte ich mir programmieren, ist ja alles da im Autocomputer. Aber jedes Mal, wenn ich das Handbuch aufschlage und die vielen Seiten und Querverweise lese, die ich vorher bewältigen müsste, schlage ich es wieder zu. Wenn wir ihn wirklich einmal brauchen sollten, lassen wir es die Werkstatt machen. Ja, es gibt noch Schleichwege,die niemand benutzt, da ist Autofahren ein Genuss wie vor 50 Jahren. Auch in strukturschwachen Gebieten, zum Beispiel im Fränkischen und in der Haute Provence, habe ich das erlebt. Dann wünsche ich viel Spaß beim Schleichen ...;-)

    Herzlichst
    Christa

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