Montag, 12. August 2013

Klasse statt Masse


Am Wochenende mussten wir erfahren, dass es immer schwieriger wird, einen wirklich schönen und nicht überlaufenen Platz zum Wandern zu finden. Am Samstag stießen wir durch Zufall auf ein Gebiet, das zwar erschlossen, aber nicht spektakulär und deshalb noch fast gänzlich einsam war. Von einem Wanderparkplatz der schwäbischen Alb aus konnte man verschiedene beschilderte Routen wählen. Es ging zunächst in Richtung Fernmeldeturm, dann nahm uns ein natürlicher Fichtenmischwald auf. In der Hütte oben hatten sich gotische Menschen im schwarzen Outfit versammelt, die von Heidelberg kamen und eine Nacht ordentlich feiern wollten. Sie erinnerten mich an die Schwarzgekleideten  aus meinem Krimi, waren friedlich, naturliebend und gesprächig. Wie in einem riesigen Park standen die Fichten und Tannen auf der Wiese. Außer ein paar Fahrradfahrern begegnete uns niemand mehr.

Wie anders war es am Tag darauf oberhalb des Donautals! Dort drängten sich die Menschen im Wanderheim "Rauer Stein", von dem man allerdings eine grandiose Aussicht ins Durchbruchtal der Donau hat, noch schöner
vom Eichfelsen. Auf dem Rückweg benutzten wir einen Weg abseits der Autobahn, die mit Kinderwagen, Hunden und Wanderern überfüllt war. Eigentlich ist es ja egoistisch, eine Landschaft für sich haben zu wollen, aber ich bin überzeugt davon, dass jede Gegend, die von Massen überrollt wird, letztendlich ausverkauft ist. Die Wege werden breiter und mountainbikegerecht. Erst kürzlich mussten wir ausweichen, weil sämtliche Traufwege wegen einer Rallye gesperrt waren. Und wer hat die veranstaltet? Nicht etwa der Albverein, sondern die Sparkasse! Und bei der Suche nach einem Ausflugslokal mussten wir erleben, dass schon bei der Anfahrt Aggressionen entstanden. Die Pizza beim Italiener ist für mich ehrlicher als eine Massenabfütterung, womöglich mit eingelegten Steaks und Zutaten, die den Grundgeschmack des Lebensmittels verschleiern.

Fast bin ich versucht, das Klasse-Masse-Prinzip auf den Buchmarkt zu übertragen. Angeblich sollen viele Verlage nur noch Thrillerautoren unter Vertrag nehmen, weil alle anderen Genres ausgeblutet seien. Ich habe gerade einen Thriller gelesen und fand da nicht viel Neues außer den üblichen Morden und Verletzungen, denen eine internationale Mordermittlungscrew ausgesetzt war. Danach hatte ich nichts mehr zum Lesen. Schaute verzweifelt in mein Regal und fand einen Band Erzählungen von Stefan Zweig. Der fesselte mich schon mit dem ersten Satz. Die Geschichte eines Zwöfjährigen, der versucht, das "brennende Geheimnis" zwischen seiner Mutter und einem Hotelgast zu entdecken und der die beiden auf alle nur erdenkliche Weise stört. Sehr dicht das alles, viel innere Monologe und erlebte Rede und viel, viel spannender als der Thriller! In Zukunft möchte ich noch achtsamer sein mit dem, was ich wo unternehme und was ich lese. Und was ich schreibe. Nein, es muss nicht abseits von Genres sein, dazu lese ich die viel zu gerne. Aber es muss dichter sein, die Plätze, an denen wir wandern, müssen gewachsen, intakt, und nicht mit einer Jahrmarktsbude der Eitelkeiten verstellt sein, an denen sich einige Wenige eine goldene Nase verdienen wollen.

2 Kommentare:

  1. Liebe Christa,

    dicke Zustimmung von einem Stefan-Zweig-Fan! "Brennendes Geheimnis" ist eines der schönsten Stücke Literatur, die es gibt. Ich habe mir erst kürzlich, obwohl schon viel von ihm gelesen, als E-Book seine sämtlichen Werke geholt (Zweig ist rechtefrei geworden) und denke jedes Mal: Eigentlich könnte jetzt sonstwas passieren und du auf einer einsamen Insel sitzen, allein diese Bücher würden dich glücklich machen. Was für ein wirklicher ERZÄHLER!

    Was das Wandern betrifft, mache ich die Erfahrung, allerdings in den Vogesen, dass sich die Massen alle um die gleichen Plätze kloppen. Autobahnnah, möglichst nicht weit von Wanderparkplätzen, am besten Stöckelschuhgerecht. Oder in einschlägigen Fernsehsendungen empfohlen. Und ein paar Kilometer dahinter oder wo es unwegsam ist, wo die Anfahrt Mühe macht: Leere.

    In den letzten zehn Jahren sind mir beim täglichen (!) Hundewandern nur ganz extrem selten mal ein paar vereinzelte Touristen begegnet, meist im Hochsommer. Ansonsten nur mal ein paar Reiter, jede Menge Holzarbeiter, ein paar Förster und trainierende Soldaten, Dörfler, die Pilze sammelten, Jäger. Aber die Stellen, wo ich laufe, stehen in keinem Fremdenführer (und ich werde einen Teufel tun, sie zu verraten) und kommen nicht in den Medien. Und zu gucken gibt's nur das, was die meisten Horden langweilt: Natur.

    Ich bin gestern ziemlich quer durch die Vogesen gefahren und habe wegen einer Riesenbaustelle den direkten, geradlinigen Weg per Landkarte gesucht. Quer übers Land, über die alten Pässe. Das grandioseste Panorama. Das waren teilweise die alten Routen der Römer und Merowinger - und die wussten direkt zu reisen. Ich fuhr zur Stoßzeit und es war mir fast gruslig: Außer in Dörfern war ich fast allein auf der Straße! Warum? Diese Route spuckt kein Navi dieser Welt aus. Auf der Hauptroute stauten sie sich wie die Bekloppten ... (ja, der Vergleich zu den Büchern ist super!)

    Herzlichst, Petra

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Petra,

    die nächste Geschichte dieses Bandes, die mir unauslöschlich im Gedächtnis bleiben wird, hieß "Angst" - von der Ehefrau, die ihren Gatten betrogen hat und von der Freundin des Geliebten erpresst wird - da sieht man, wie jemand fast zum Wahnsinn und in den Selbstmord getrieben werden kann. Oder früher die Geschichte der Wiener Serviererin, die daran denkt, ihr neugeborenes Kind zu töten -und später von ihrem Schicksal eingeholt wird. Ich muss aber danach immer eine Pause machen, so intensiv sind sie.

    Nach dieser Sache mit der Fahrradrallye sind wir in einem schönen, stillen Tal gelandet, in dem uns nur ein Bauer auf seinem Traktor begegnete. Interessant, deine Erfahrungen in den Vogesen. Mein Sohn wandert gerade allein mit Zelt und Rucksack über den Feldberg zum Belchen. Bin gespannt, was er für Erfahrungen macht! Am besten wird es sein, wenn man zu den spektakulären Aussichtspunkten und Plätzen, so man sie denn sehen will, nur unter der Woche und außerhalb der Ferien geht. Und ansonsten die Geheimplätze aufsucht, die man nur mit Gleichgesinnten teilen muss, wenn überhaupt.

    Herzlichst
    Christa

    14. August 2013 13:47
    Löschen

    AntwortenLöschen

Mit Ihrem Kommentar erkennen sie die Datenschutzerklärung dieses Blogs an.(Oben in der Navigationsleiste)