Samstag, 3. Februar 2024

Im Auge des Sturms


Gestern, bei schon fast frühlingshaften Temperaturen, haben wir uns mal wieder aufgerafft und sind ins Neckartal hinuntergefahren, wo schon die ersten Winterlinge ihre  Köpfchen aus den Beeten steckten, goldgelb und kugelig prall gefüllt. Gefühlt hundert oder tausend mal erfahren ist diese Landschaft für uns, und doch kann man immer wieder staunen über die Ruhe, die stillen Orte und die Pappeln mit ihren gewaltigen Mistelbüschen an den Zweigen. In Rottenburg die Frage, wo man in Ruhe und angenehmer Gesellschaft seinen Kaffee trinken könnte. Dabei kommt es zu Irritationen. Wo sind die Kneipen und Cafés, in denen wir uns früher immer so wohl gefühlt hatten, vor allem jetzt im Winter, wenn der Wind eisig um die Ecken pfeift? Der Italiener am Marktplatz ist proppenvoll, also geht es zum Bäckereicafé, wo sich nichts verändert hat. Auf dem Rückweg dann ein kleiner Buchladen, in dem wir vor Corona schon mal waren.

Ich krutschle draußen in den Büchern und entdecke Namen und Titel, die ein ganzes Leseimperium in mir wachrufen. Ja, es ist ein kleines Antiquariat, und ich erstehe ein Buch von Ehrenfried Kluckert über Tübingen und das Ammertal sowie eins über die Schwabenkinder von Elmar Bereuter. Dann winkt mein Freund mich in die Buchhandlung hinein. Dort sitzen drei ältere Herren und schauen mir freundlich-erwartungsvoll entgegen. Bestimmt hat mein Partner erzählt, dass ich Bücher veröffentlicht habe und eins schon in der Buchhandlung gestanden hätte. "Das hab ich mir schon gedacht", sage ich, worauf alle in Lachen ausbrechen. Die Print-Bücher sind natürlich alle vergriffen, sage ich zu den Ladeninhabern. Nach einem wechselseitigen Gespräch über die Schwierigkeiten, heute noch in den Buchhandlungen fündig zu werden- die anderen Gäste sind inzwischen gegangen - laden die beiden uns zu einem Kaffee ein. Es war ein halbe Stunde, die mich aus der Welt heraushoben wie im Auge eines Sturms, der gerade über die Welt hinwegfegt. Über das Streiten, das gleichzeitig größte Nähe und größte Distanz hervorruft und die Fronten klärt. Über Hermann Hesse, der ihr Lieblingsschriftsteller ist und auch unserer, und ich sage, dass ich immer, wenn ich nichts mehr zum Lesen finde, wieder zu ihm greife. Insgeheim denke ich auch an den Absatz, den Hesse-Bücher gerade bei Amazon erfahren. Wir reden über das Calwer Hesse-Museum, über Kloster Maulbronn und Montagnola, wo wir im Garten der Casa Camuzzi alles so vorfanden wie in "Klingsors letzter Sommer" beschrieben. Im "Knulp" fand ich gerade einen  Traum, der einem von mir total glich, nämlich eine ruinöse Welt, in der ich und andere Menschen nach Sinn, einem Haltepunkt und Heimat suchten.

Dann wieder hinaus in diese Welt, mit ihren Autokolonnen und ihrem ganzen Chaos. Im "Krokodil" in Rottenburg hatten wir früher schöne Stunden verbracht, mehr noch in dem Mössinger Krokodil oder im Gleis Süd in Horb, also ließen wir uns einen großen Cheeseburger mit Speck bringen. Enttäuschung. Der Tee war lauwarm, der Käse des Cheeseburger kalt. Und das für 35 Euronen! Aber es bleibt dabei: Es gibt noch Inseln im Auge des Sturms, in denen man sich von den Gegenwartsschrecken erholen kann. Den Protesten und der Gewalt in der Welt begegnet man ja eh tagtäglich in den Nachrichten, den Medien und auf der Straße- Traktoren, Menschenmassen gegen rechts und immer neuen Klima-und sonstigen Katastrophen.



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