Donnerstag, 4. Juni 2015

Der letzte Arbeitstag

Am Dienstag war es dann so weit: Nach dem Team saßen wir alle, Kollegen und Vorgesetzte, beisammen und feierten meinen Abschied aus dem Berufsleben. Ein duftender Blumenstrauß, Geschenkgutscheine für Bücher und Restaurantessen, leckere Blaubeertörtchen und Lachsspinatrollen, ein buntes, warmes Programm. Die großen Geschenkkörbe hatte ich ja in den Monaten vorher schon erhalten. Super, wenn man so gehen kann und mit allem im Reinen ist! Natürlich wurde ich auch gefragt, was ich denn so für die Zukunft plane. Und dass ich glücklich zu preisen sei. Erstmal an die neuen Strukturen gewöhnen, das Auto zur Inspektion bringen, ein Arztbesuch meines Partners, dann Urlaub wer weiß wohin. Weimar wäre mal wieder eine gute Adresse, unvergesslich das Goethehaus im Park an der Ilm und die lockere, "geistreiche" Atmosphäre der Stadt. Viele schöne und hochinteressante Orte in der Nähe. Und natürlich kann unter der Woche gefahren werden, wenn das Wetter stimmt. Die Vereine weit und breit hatte ich schon alle gecheckt, aber nur einen gefunden, für den ich vielleicht auch weiter tätig sein könnte: der, in dem ich nun schon seit vielen Jahren bin und für den ich fast sechzehn Jahre lang gearbeitet habe. Alle wollten wissen, wie es mit dem Schreiben weitergeht. Und staunten nicht schlecht, dass ich demnächst ein eigenes Ebook herausgeben will. Manche waren noch nicht so mit dem Reader vertraut, andere nehmen ihn schon lange auf Reisen oder zum Zelten mit. Wie geht das mit dem Loslassen, wenn man bis zum Schluss voll drin war in der Arbeit? Ich habe mich in den letzten Wochen, die noch sehr dicht und ereignisreich waren, an vielen Stellen gefragt, ob ich das noch weiter haben will. Und kam zu einem eindeutigen "nein"! Bei der Rückfahrt wollte ich gerade ein Plätzchen auf der Höhe suchen, um die Arme in den sommerlichen Himmel zu werfen, als mit einem Pling das Display aufleuchtete. Reifen hinten rechts verliert an Druck! Auweia, nicht auch das noch, bitte. Der Reifenhändler zog einen Nagel aus dem Reifen. Wir hatten mal ein Auto, in dessen Reifen fast jede Woche ein Nagel oder eine Schraube steckte. Wie kommen die Leute eigentlich dazu, solche Dinge auf die Straße zu werfen? Bei denen ist wohl eine Schraube locker!

Mittwoch, letzter Arbeitstag, natürlich mit vollem Programm, mit therapeutischem Team und Gruppe. Es war wie immer und doch wie von einem glänzenden Schleier überzogen. Helfen ist jetzt kein berufliches Werkzeug mehr, sondern ein humaner Wert. Die Gruppe hatte sich eine Auswahl meiner Bücher zum Abschied gewünscht. Da lagen sie nun, und ich erklärte kurz den Inhalt, die Bedeutung und auch ihr Schicksal in der Verlags- und Bücherwelt. Ja, Mörike, von dem hatte man mal Gedichte auswendig lernen müssen. Alle Augen glänzten. Ein letztes Zusammensitzen im Garten, bei einem bombastischen Renteneinstiegswetter, der Garten, in dem man so viele Grillfeste gefeiert, so viele Spiele gespielt und so viele Konflikte hat lösen helfen. Und dann Tür zu, Schlüssel in den Briefkasten, die eigene Tasse muss noch mit. Herzliche Umarmungen, kein Blick zurück. Ein total glückliches, freies Gefühl. Wie im Traum die Wanderung über den abendlich warmen Kapf. Heerscharen von Riemenzungen und Hummelragwurz stehen dort aufgereiht, dazu der weite Blick über die Kuppen des nördlichen Schwarzwaldes. Und die Sicherheit, dass Erfahren, Erwandern und Erschreiben weiterhin
die Eckpfeiler meiner Landkarte sein werden.
Vom Glück, eine Glückshaut zu haben