Dienstag, 13. Oktober 2015

Das Weißkittel-Drama

Es gibt auch noch ganz andere Gründe für Schreibblockaden als die Unstimmigkeit des Plots, die Angst vor Misserfolg oder der Zeitmangel wegen des Ebook-Marketings. So können es, und das bestätigen Schreiberfahrene, auch Widrigkeiten im persönlichen Umfeld sein, die einen vor dem leeren Monitor hocken lassen. Vor einiger Zeit hatte ich über die Zustände der medizinischen Versorgung vor allem auf dem Land berichtet. Da ging es um die fehlenden Praxen und die totale Überlastung der Hautärzte. Es endete damit, dass dem Patienten in der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses die doppelte Dosis Cortison verabreicht wurde, und schon ein paar Tage später war der ganze Spuk vorbei. Zur Nachuntersuchung hatten wir noch einen Versuch frei, in der benachbarten Bischofsstadt. Der Schuss ging ebenfalls daneben.

Nun, neue Krankheit, neue Weißkittel-Erfahrungen. In einer Universitätsstadt wie Tübingen mit ihren berühmten Unikliniken würden wir bestimmt auf der sicheren Seite sein. Wenn ich mich auch vage daran erinnerte, dass die Zahn- und Kieferklinik, zu der uns ein Not-Zahnarzt einmal schickte, abends einfach geschlossen war. Nun, die Öffnungszeit wurde auf der Homepage "bis 17.00" angegeben, so dass wir uns um Punkt drei dort einfanden. Überall mürrische Gesichter, ein ausgestreckter Zeigefinger zur Uhr: "Wir haben bloß bis 15.00 Sprechstunde!" Eine kleine Chinesin im blauen Kittel hatte dann ein Erbarmen. "Müssen hier warten, ich kläre das." Wir sollten zur BG, der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik auf dem Berg, dort würden wir erwartet. Wurden wir aber nicht, sondern mussten zur Anmeldung. Sehr freundlich, man hörte sich die Sorgen des Patienten an. Dann mit dem Fahrstuhl, der schwer zu finden war, auf die Station. Dort hatte man von Tuten und Blasen keine Ahnung. Warten vor dem Arztzimmer. Nach zwei Stunden wollten wir gehen, aber dann wurde der Arzt angerufen (zu Notfällen unterwegs). Nochmal warten. Um 17.00 kam der Wagen mit dem Essen, genau derselbe wie anno dazual, als die Autorin noch ihr freiwilliges soziales Jahr in derTübinger Orthopädie machte. "Heute Currysuppe" stand da drauf. Jetzt ging gar nichts mehr. Als wir zum Ausgang strebten, kam der Stationsarzt plötzlich um die Ecke. Sehr freundlich, sehr kompetent, auch der Ober- und der Chefarzt. Untersuchung, diagnostische Verdachtsäußerungen. Wenn der Patient am nächsten Morgen um Punkt 8 da sei, käme er sofort dran (in der Zahnklinik), sonst müsse er bis zu 5 Stunden warten. Wegen überlanger Staus wurde es dann doch 8.15, woraufhin der Modus "Warten" wieder angesagt war. Der diensthabende Arzt hatte keine Ahnung, was er tun sollte, obwohl auf der Überweisung alles drauf stand-Computertomografie usw. Im Gegenteil, er überschüttete den Patienten mit Vorwürfen, dass er erst jetzt gekommen sei. Dabei hatten alle Ärzte das Ding nicht für etwas Ernsthaftes gehalten und zum Abwarten geraten. Horrorvorstellungen! Wie halten andere, noch viel schlimmer Kranke denn so etwas aus? Neues Spiel über Krankenhaus-Notdienst und Hausarzt. Nein, leider führt kein Weg an Tübingen vorbei. Diesmal die HNO auf dem Schnarrenberg. Und welch ein Wunder, der Patient musste eine Nummer ziehen, kam fast sofort dran, und schwupp!, hatte er einen Termin für Donnerstag zur Operation. Und die Moral von der Geschicht: Überleg dir genau, welche Krankheiten du bekommen willst! Frauen - und Zahnärzte gibt es zuhauf. Alles andere kann dir den Besuch eines Horrorfilms ersparen, in dem ein Patient stunden- und tagelang durch aseptische Flure torkelt, von abwechselnd netten und bösen Gesichtern angestarrt und belehrt wird, zusammenbricht und schließlich im Parkhaus aufwacht, aus dem er dann nicht mehr herausfindet.

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