Montag, 20. April 2015

Der Hunger nach Aus-Zeit

Gestern haben wir eine Wanderung gemacht, die uns die Augen in bestimmter Weise öffnete. Es war ein Weg, den wir schon seit Ewigkeiten kannten und den ich nie in der Öffentlichkeit beschrieben hätte. Unser privater kleiner Geheimtipp also. Der Himmel war leuchtend blau, die Kirsch- und Birnbäume blühten, alles war grün, alle Blumen waren auf einmal da, explosionsartig über Nacht aus dem Boden gebrochen. Und es geschah etwas, das wir noch niemals erlebt hatten: Auf diesem Weg begegneten uns Hunderte von Menschen, zu zweit, in lärmenden Gruppen, zu Fuß, per Fahrrad, zu Pferde, mit Kinderwagen und Walkingstöcken. Eine Art Unbehaglichkeit stellte sich ein. Wie kamen diese Massen plötzlich an diesen Ort? Durch das Internet, meinte mein Begleiter, die rufen sich zusammen und marschieren dann los. Durch das Wetter, sagte ich, die wollen einfach alle nur wie wir das schöne Wetter und die Baumblüte erleben. Wandern ist wieder in, die Wandervogel-Verstaubtheit vergangener Tage ist passé. Man sollte an sonnigen Sonntagen, zumal im Frühling nach Monaten der Dunkelheit und Kälte, bestimmte Orte meiden.

Wir zogen weiter und mussten feststellen, dass natürlich auch alle Cafés überfüllt waren. Schließlich fanden wir einen Ort, nicht ganz so spektakulär, an dem wir, mit Blick auf die grandiose Kette der schwäbischen Alb, doch noch in aller Ruhe unsere große Runde drehen konnten. Ich habe darüber nachgedacht. Und fand soeben einen Artikel in einem Wandermagazin, der schon ein bisschen älter ist, aber genau das beschreibt, was mit dem modernen Menschen vor sich geht in einer beschleunigten Zeit, die ihn seiner inneren Stabilität beraubt. Der Hunger nach Entschleunigung. Autor ist Ulrich Grober, er hat das von mir so stark erlebte Buch "Wandern. Neue Wege zu einer alten Kunst" geschrieben. Der Hunger nach Entschleunigung soll übrigens auch junge Mneschen ergriffen haben. Zeitschriften mit Anleitungen zur Achtsamkeit, zur Handarbeit statt ständigem Kopfkino, zu Lesen statt zum Fernsehen und Computern und fürs Zusichselberkommen hätten Hochkonjunktur Zehntausende von Auflagen. Vielleicht waren all diese Mneschen , denen wir da begegnet sind, beflügelt von dem Wunsch nach Auszeit, Entschleunigung und Einssein mit der Natur und mit sich selbst. Und mussten zu ihrem Schrecken feststellen, dass Hunderte den gleichen Gedanken hatten!

Die Gedanken zur Entschleunigung sind übrigens mitnichten neu. Schon die schwäbischen Dichter, mit denen ich mich gerade beschäftige, warnten vor der Beschleunigung allen Lebens. Das fing im neunzehnten Jahrhundert mit der Industrialisierung, den Dampfmaschinen und den ersten Eisenbahnen an. Justinus Kerner, hingebungsvoller Arzt, Geisterseher, Dichter und weltmännische Gastgeber aus Weinsberg, veröffentlichte im Jahr 1852 sein "Eisenbahn-Gedicht. Darin die letzte Strophe:

                                             Fahr zu, o Mensch! Treib's auf die Spitze,
                                             Vom Dampfschiff bis zum Schiff der Luft!
                                             Flieg mit dem Aar, flieg mit dem Blitze!
                                             Kommst weiter nicht als bis zur Gruft.



Sonntag, 19. April 2015

Romantische Wege

Unterhalb des Pomeranzengartens in Leonberg
Dieser Tage kann man mal alles hinter sich und die Seele baumeln lassen! Selbst das Schreiben lasse ich dort, wo es gut aufgehoben ist. Parallel dazu habe ich ein Buch über die schwäbischen Dichter gelesen, kürzlich gefunden im wunderschönen Kloster Heiligkreuztal, einem meiner Lieblingsklöster. Und abends geht es weiter mit der Romantik: In Calw habe ich das Buch "Der Neckar. Eine Literaturreise" von Jan Bürger (Ch.Beck Verlag) erstanden. Da geht es um süddeutsche Literaten vom 16. Jahrhundert bis heute. Eine herrliche Ergänzung zu meinem neuen historischen Kriminalroman - und es verkürzt die Wartezeit, bis es zurück ist aus dem Korrektorat.

Montag, 6. April 2015

Osterspaziergang

Merkwürdigerweise erinnere ich mich an Ostern oft an eine Szene aus dem "Faust" von Goethe. Da beschreibt er ein Frühlingsszenario - und später tauchen in der Ferne Gestalten auf, die sich durch die Felder und Äcker bewegen. Das sehe ich dann manchmal um die Ostertage herum, es ist ein zeitloses Bild.
Osterspaziergang mit unseren Jungs
Die letzten Tage waren extrem, ein Auf und Ab, nicht nur beim Wetter. Wer am Samstag noch eine Kleinigkeit besorgen wollte und nicht auf einen Tante-Emma-Laden zurückgreifen konnte, der geriet, wie schon in der Weihnachtszeit, in eine wahre Hölle. Im Supermarkt drängten sich die Leute gegenseitig von den Angeboten weg. Wer auch noch einen Kaffee wollte, wurde gnadenlos abgestraft. Dazu klatschte von morgens bis abends ein eiskalter Regen herunter. So hatte sich wohl niemand die Feiertage vorgestellt. Essen und Konsumieren schien vielen das Allheilmittel gegen langanhaltenden Frust zu sein. Dabei geht es viel einfacher und kostet dazu nichts. Als die Sonne am Ostersonntag wider Erwarten herauskam, haben wir einen langen Spaziergang gemacht. Das hat den Kopf nachhaltig freigeblasen. Ich wünsche allen meinen Lesern eine schöne Restosterzeit und eine wärmere und entspannte Zeit danach!
Der Osterspaziergang -was wir von Goethes Faust lernen können

Freitag, 3. April 2015

Psychische Krankheit und Mord

Nachdem der Hergang des schrecklichen Flugzeugabsturzes nun durch die französische und die deutsche Staatsanwaltschaft -nach Auffinden der zweiten Blackbox - weiter geklärt scheint, bleiben dennoch viele Fragen offen, insbesondere die sensible Frage nach der Art der psychischen Erkrankung des Copiloten. Prof. Dr. Asmus Finzen, Arzt, Professor für Sozialpsychiatrie und Wissenschafts-Publizist, zuletzt tätig an der psychiatrischen Unviversitätsklinik Basel, hat dazu einen sehr behutsamen, aber nichtsdestoweniger treffenden Artikel in der FAZ vom 30. März 2015 geschrieben. Ich selbst lernte Prof. Dr. Finzen bei Seminaren in Tübingen kennen und absolvierte bei ihm auch meine Prüfung im Fach Sozialpsychiatrie.
Depressionen machen keinen Massenmörder.

Kurz zusammengefasst: Jeder zehnte Mensch erkrankt in seinem Leben an einer Depression. Nach der Vorstellung von Psychiatern werden Gewalttaten von Depressiven nur halb so oft begangen wie von "normalen" Personen. Depressive sind eher ängstlich, zurückgezogen, schuldbewusst und in der Regel  autoagressiv statt fremdagressiv. Psychosen werden von der Umgebung meist schnell erkannt und lassen sich auch vor Kollegen und Angehörigen nicht verbergen. Bei diesen Störungen steht der Realitätsverlust im Vordergrund und lässt die Betroffenen nicht planvoll handeln, wie es in diesem Fall offensichtlich der Fall war. Eine bipolare Störung sehe ich, entgegen den Berichten des Spiegel, nicht, weil ich keine manischen und tief depressiven Episoden erkenne. Dagegen gibt es, wie ich in einem Artikel der Zeitschrift "Psychologie heute" von 2012 las, so genannte "maligne Persönlichkeitsstörungen". Personen, die ein solches Syndrom entwickeln, sind nicht in der Lage, Empathie für andere zu entwickeln, also sich in sie einzufühlen. Der Autor zählt Personen wie Saddam Hussein, Josef Stalin und Adolf Hitler zu ihnen. "Maligne und antisoziale Persönlichkeiten" sind differentialdiagnostisch das, was man früher als "Soziopathen" bezeichnete. Solche Störungen lägen dem Handeln vieler Serienmörder zugrunde. Der Massenmörder Anders Behring Breivik, der im Sommer 2011 77 Menschen in Olso und auf der Insel Utøya ermordete, wurde zunächst von den psychiatrischen Gutachtern als "paranoid schizophren" eingestuft. Das Gutachten wurde von kompetenter Seite angefochten und in ein anderes verwandelt, nämlich in die Diagnose "narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstörung". Gestern äußerte ein Psychologe im Fernsehen, dass es bei solchen Taten wie in den französischen Alpen um Menschen handeln könnte, denen es um Macht geht, die Gott spielen und Herren über Leben und Tod sein wollen. Und möglicherweise den krankhaft übersteigerten Wunsch haben, beachtet, von der ganzen Welt gesehen und erkannt zu werden, wenn auch auf außerordentlich destruktive Weise. Jeder wird jetzt sagen, dass die Genauigkeit einer Diagnose nicht das geringste an dem ändert, was unwiederbringlich geschehen ist. Sie wird kein Leid eines Betroffenen verringern. Da sich aber, dieser festen Überzeugung ist Prof Dr. Finzen und dieser Überzeugung bin auch ich, die Vorurteile gegenüber psychisch Kranken weiter verstärken werden, ist es umso dringlicher, die Öffentlichkeit aufzuklären und die Diskussion zu versachlichen, anstatt sie zu verharmlosen oder gar zu verdrängen. Im Großen und Ganzen nämlich sind psychisch Kranke für andere weit weniger gefährlich als die sogenannten Normalen, die mal eben jemanden auf der Autobahn abdrängen und dessen Tod riskieren.