Sonntag, 11. Mai 2014

Erfahren und erwandert

Vor langen Jahren las ich mit großem Vergnügen ein Buch von Christine Brückner, das "Erfahren und erwandert" hieß. Da ging es um Reisen in Europa und um Wanderungen im Schwarzwald und anderen deutschen Mittelgebirgen. Seitdem liegt es in den tieferen Dateien meines Hinterkopfs. So ein Buch hätte ich gern auch einmal geschrieben! Das Unterwegssein ist ja zu einem wichtigen Bestandteil meines Lebens geworden. Ich erinnere mich, dass nicht nur die Lichtmomente dieser Fahrten und Wanderungen beschrieben wurden, sondern es gab auch mal einen schweren Kopf nach einer zu langen Feier am Vorabend, es gab Streit an Wegkreuzungen, wenn jeder meinte, den richtigen Weiterweg zu kennen. Ja, es gibt Ausflüge, die von vorne bis hinten schiefgehen, wenn man den Teufel mit einer List zu betrügen versucht. So widerfuhr es uns auch am gestrigen Tag. Mein Partner besitzt einen alten Kulturführer. Wir hatten uns darauf geeinigt, Richtung Ostalb zu fahren. Der Wetterfrosch hatte etwas von Schönwetter dort gequakt. Im Leintal bei Schwäbisch Gmünd und im Kochertal zwischen Gaildorf und Aalen gibt es noch viele landschaftliche Schönheiten, Renaissanceschlösser, Burgen, Ruinen, Kirchen und Kapellen zu entdecken, so versprach der Reiseführer. Vielleicht hatten sie sogar Geschichten zu erzählen. Trotz des Stuttgarter Frühlingsfestes gelang die Anfahrt völlig problemlos, ausnahmsweise lichtete sich der Himmel im Osten, und wir freuten uns auf einen spannenden Tag. Wären wir doch lieber zur Landesgartenschau in Schwäbisch Gmünd gegangen, es hätte uns manches erspart! Aber da wäre es uns ja zu voll gewesen. In einem Dorf winkte uns ein mittellaterlicher Kirchturm entgegen. Bei der Durchfahrt schauten uns die wenigen Menschen, die rund um ihre Häuser beschäftigt waren, nach, als würden hier niemals Fremde gesichtet. In der Kirche waren hohe, weiße Tische aufgebaut, draußen saßen schwarzgekleidete Jugendliche. Eine junge Frau spielte auf einer Flöte. Eisiges Schweigen schlug uns drinnen entgegen, jemand sagte, man hätte die Tür schließen müssen. O weia, das war uns auch noch nie passiert. Fluchtartig verließen wir die ungastliche Stätte und fuhren durch das schöne Kochertal. Bewaldete Hänge, Butterblumenwiesen und mittendrin der Kocher, der sich durch unberührte Natur schlängelt. Die Städtchen und Dörfer wirkten verlassen und heruntergekommen, viele Gastwirtschaften schauten uns aus blinden Fensterscheiben an. Es waren keine Touristen unterwegs, jedoch wurden wir immer wieder von dröhnenden Renn-Motorrädern überholt. Bei der Wallfahrtskirche reparierte ein Mann ein Fahrrad. Er stellte sich als Pfarrer vor und öffnete die Kirche für uns. Das Innere war stark modernisiert. Die Burgruine dahinten, die lohne sich nicht, meinte er, das seien bloß ein paar Steine im Wald. Mit hängenden Nasen fuhren wir weiter. Da, endlich, das schöne Renaissanceschloss auf einem Hügel hoch über dem Kocher, von den Herren von Limpurg erbaut. Der Zugang war schwer zu finden. Und dann zog mit drohender Geschwindigkeit eine tintenblaue Wand von Westen heran, ein Sturm schüttelte die Birken vor dem Schloss wie mit einer Riesenfaust. Im Schlosshof war ein Zelt aufgebaut, ein paar Männer, die da arbeiteten, blickten uns feinselig entgegen. Was war heute nur los mit den Leuten? War ihnen das Wechselwetter aufs Gemüt geschlagen? Mein Partner regt sich sowieso immer über alles mögliche auf, aber diesmal schug es dem Fass den Boden aus. Die Empfehlungen dieses Reiseführers sind irreführend und völlig veraltet, das habe auch ich festgestellt. Und so flog er in einer Kurve in hohem Bogen zum Fenster raus. Vielleicht hatten die Radfahrer gleich darauf noch ihr Vergnügen daran. Als wir Aalen erreichten, unsere letzte Hoffnung und Schauplatz so vieler wunderbarer Tage und Nächte, war die schwarze Wolke schon da. Aber wenigstens war es warm, was auf der Ostalb nicht unbedingt selbstverständlich ist. Ein Königreich für einen Kaffee! Ich habe Aalen schon immer bewundert, nicht nur wegen des Spions, wegen der Museen und der Römer, sondern auch wegen ihrer Gastlichkeit. Die ganze Stadt scheint ein einziger Kaffee- und Biergarten zu sein. Doch in den ersten beiden Cafés wurden wir brummig darüber aufgeklärt, dass hier Selbstbedienung herrsche. In einem Künstlercafé bekamen wir das Gewünschte, zusammen mit ein paar netten Worten der Bedienung. Dann prasselte der Regen nieder, Flucht in eine Ladenpassage und in ein Schuhgeschäft. Wenn schon alles so schiefgelaufen war, wollte ich doch wenigstens meine Trekkingsandalen kaufen. Und wie durch ein Wunder passten schon die ersten. Nichts wie weg, jetzt konnten wir wieder heimfahren. So eine überflüssige Kilometervergeuderei!

Doch das Schieflaufen war noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen. Den Rückweg mussten wir über die Alb nehmen, denn am Samstagabend ist Stuttgart ein einziger Fußballstau. Endloses Schleudern durch Kurven und endlose Strecken geradeaus im Regen. Dann ließ der Regen endlich nach, unsere Mägen knurrten vernehmlich. Beim Filsursprung kannten wir ein Lokal, das uns noch nie wirklich enttäuscht hatte. Es war auch alles wie gehabt, nur ein Tisch war voll mit Einheimischen. Ich bestellte eine kleine Portion Schweinebraten mit Spätzle. Oh nein, stöhnte mein Partner und verdrehte die Augen. Eine fünfköpfige Familie mit penetrant quengelnden Kindern ließ sich mit viel Gedöns am Tisch gerade neben uns nieder, obwohl es jede Menge Nebenzimmer und sonstigen Raum gab. Wir haben ja selber Kinder großgezogen und lieben sie, aber diese Vorstellung war geradezu nervtötend. Ich erinnere mich nicht, jemals so etwas erlebt zu haben. Der Kleinste sollte wohl Kroketten essen, wollte aber Pommes mit Ketchup. Schließlich sagte die Mutter entnervt, wenn sie jetzt nicht aufhörten, würde sie sich morgen am Muttertag den ganzen Tag wegsperren. Fünf Minuten erschrockene Stille, dann ging es von vorne los. Erst als alles, einschließlich Fritten mit Ketchup, aufgetragen war, gingen die Sirenentöne in friedlicheres Plappern über. Fazit: Versuche nicht, einmal Erlebtes wiederholen zu wollen. Nimm lieber deine Trekkingsandalen und laufe damit über die Heiden.

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