Dienstag, 28. Mai 2013

Ohne Agent und ohne Verlag


Wie es mir geht? Es scheint mir, als rühre ich die Suppe um, die ich mir mit allen Zutaten, die eine gute Suppe benötigt, eingebrockt habe. Ich fische im Trüben und im Klaren, stochere in alten Geschichten und hafte doch an keiner von ihnen an. Das Gedicht von Petrarca fällt mir wieder ein, besonders die beiden letzten Strophen:
Ich wanke wie das Gras, so von den kühlen Winden
Um Vesperzeit bald hin geneiget wird, bald her.
Ich walle wie ein Schiff, das in dem wilden Meer
Von Wellen umgejagd nicht kann zu Rande finden.
Ich weiß nicht was ich will, ich will nicht was ich weiß,
Im Sommer ist mir kalt, im Winter ist mir heiß.
(Francesco Petrarca, 1304-1374; aus dem Italienischen von Martin Opitz)
Das habe ich schon einmal in einem Roman verwendet, selbstverständlich war das ein Roman, der nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat. Jetzt, wo ich frei bin, zu schreiben, was immer mir in den Sinn kommt, kann ich mich nicht entscheiden. Da ist die Geschichte der Herren von Zimmern und der Burg Wildenstein, die mich fasziniert. Es geschah ein Mord, es geschahen Angriffe, es gab eine tief verstörende Beziehung zwischen Froben Christoph, dem Chronisten und seinem Vater. Hier versteckte sich die Familie ein Jahr lang vor der Pest 1519. Ferner gab es besoffene, berühmte Adlige, die dort Zuflucht suchten, einen Hexenturm, in dem angeblich die inhaftierten Frauen verbrannten, und es bestanden Beziehungen zu Herzog Ulrich von Württemberg, einem der Helden meines Bauernkriegsromans.

Ich könnte auch die Zacken der Revolutionsgeschichte wieder richten, die etwas arg lädiert waren, und sie wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzen. Dann liegt ein sehr altes Projekt in den Dateien, das geordnet werden müsste, das fängt mit einem Prolog aus dem Frankfurt des 2. Weltkrieges an und umfasst immerhin um die 300 Seiten. Wie würdet ihr entscheiden? Was macht man, wenn man, wenn auch an Erfahrungen sehr viel reicher, nach sieben Jahren quasi wieder von vorne anfängt?

8 Kommentare:

  1. Liebe Christa,
    ich verstehe dein ständiges Kreiseln nicht. Du fängst doch gar nicht von vorn an, du machst immer weiter! Du bist schon so weit gelaufen!!!

    Vergiss doch mal all den Sabbel ab Herstellung bis Verkauf - über den entscheiden kann man immer noch, wenn das Werk erst mal spruchreif ist. Und dazu muss es das Werk erst mal in irgend einer Form geben.

    Ich spiele dir gern mal das Teufelchen! Wenn dich all das, was du so halb interessiert anschaust, wirklich nur halb interessiert - warum soll es dann eines Tages Leser interessieren? Schmeiss es doch weg? (Nicht echt). Wenn du dich vor dem Schreiben fragst, ob man das so oder so machen kann und was passieren könnte wenn, warum willst du dann überhaupt schreiben? Warum entgehst du nicht allen gefährlichen Wenn und Abers, indem du den Job einfach hinschmeißt und was Sicheres tust?

    Jaja, ich kann frech und böse sein. ;-) Das war jetzt nur ein Teufelchen, das sich am Kopf kratzt, weil es deine genialen Selbstverhinderungsversuche beobachtet.

    Im Französischen gibt es den schönen Ausdruck "je suis mordu", wörtlich: Ich bin gebissen. Im Deutschen sagt man: Etwas hat mich mit Haut und Haaren gepackt.

    Du bist nicht ob der vielen neuen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten verwirrt, will mir scheinen. Du sehnst dich danach, dass dich etwas beißt - und du dich voller Liebe hingeben kannst. Aber verliebt man sich, indem man überlegt, zu welchem Standesamt man geht und ob man in Weiß heiraten will? Und ständig über den Ex grübelt?

    Lass der Magie ihren Raum. Und wenn du dann den Biss spürst, mach mit Disziplin weiter. Nur wenn du selbst, ganz allein, an eine Geschichte glaubst, werden irgendwann auch diejenigen daran glauben können, die der Geschichte ins Leben verhelfen - und diejenigen, die sie lesen.

    Herzlichst und mit guten Wünschen,
    Petra, die weiß, dass man bei anderen immer leichter das Teufelchen spielen kann als bei sich selbst ;-)

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  2. Danke, Petra, dass du diesmal den Teufelchen-Part übernommen hast! :-) Das mit dem Heiraten und dem Standesamt ist dabei die stärkste Metapher. Und natürlich sagst du mir etwas, das ich schon lange selber weiß. Weil ich diese Bisse und das Sichverlieben kenne. Ich bin nur mal wieder zu ungeduldig, weil sich nichts zeigt. Und ja, ich weiß, ich muss nur mit offenen Augen durch die Welt gehen.

    Herzlichst
    Christa

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  3. Als mein Vater ein kleiner Junge war, ging er jeden Tag an einem Grundstück vorbei, auf dem ein riesengroßer und sehr bissiger Hund lebte. Zum Glück gab es einen Zaun mit dicken Pfeilern, der verhinderte, daß der Hund sich auf den Jungen stürzte und ihn fraß. So konnte das Vieh nur zähnefletschend und knurrend klarmachen, was passieren würde, wenn ... Der Junge ging lange Zeit mit Herzklopfen an Zaun, Hund und Grundstück vorbei. Eines Tages - er hatte es nicht gleich gesehen und war weitergelaufen - wurden die Zaunteile zwischen den Pfeilern ausgetauscht, nur die Pfeiler standen noch da und markierten die Grundstücksgrenze. "Ich bin verloren, jetzt frißt er mich!" dachte der Junge und war starr vor Angst. Der Hund kam auf ihn zu - und begann auf dem gewohnten Weg hin und her zu laufen und zu geifern und zu knurren. Wie all die Jahre vorher zog er seine Bahn hinter den dicken Pfeilern. --- Und so konnte mein Vater erwachsen werden und Alexina zeugen, und die kann dir jetzt solche Geschichten schreiben. Jetzt denkt Christa vielleicht: "Ich bin kein Hund, und ich möchte keine Kinder fressen!" 1. Eben! 2. Im Roman darfste alles. Und dann gibt es da noch die Sicht des Kindes, und die heißt: "Genieße die Grenzen der anderen!" Was vielleicht ein bißchen fies ist, aber DU mußt nie mehr über moralisch einwandfreie weibliche Heldinnen schreiben, die nach einer Normzahl von Normseiten ein Norm-Happy-End zu erleben haben, gefälligst, Markt und so. Nie wieder! Is das nich geil?

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  4. Das ist so geil, Alexina, dass ich es mir erst mal auf der Zunge zergehen lassen muss! Im Team und bei der Arbeit kann ich mich dann über Grenzen amüsieren, die eigenlich gar nicht da sind-wie bei dem Jungen, der nicht weglaufen konnte, weil sein Vater ihm verboten hatte, über die Straße zu gehen. Daraus könnte man sogar ein therapeutisches Prinzip machen. Und heute Abend antworte ich dann noch richtig auf deinen Kommentar.

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  5. Klasse Alexina, danke für diese Geschichte! Du glaubst gar nicht, wie lange ich als brav trainierter Hund am fehlenden Zaun vorbeigerast bin ;-)
    Herzlichst, Petra

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  6. Jetzt bin ich gar nicht mehr zum Nachdenken über die Hundegeschichte gekommen. Aber ich möchte noch ein paar Gedanken aufschreiben. Man kann das Ganze nämlich auch aus der Sicht des Hundes sehen. Der will ja nur sein Revier verteidigen, er will das Kind gar nicht fressen. Er ist so darauf trainiert, diese Grenzen zu respektieren, dass er niemals auf den Gedanken kommt, sie zu überschreiten. Er wird also nie das erleben, was er erleben würde, wenn er es täte. Ein Hund, der eine Erinnerung an die Freiheit jenseits der Grenzen hat, kommt vielleicht mal darauf, dass der Weg frei ist. Jetzt ist er draußen. Der Unterschied zu vorher ist, dass er sein Fressen nicht mehr hingestellt kriegt. Er muss es sich selber suchen (und da gibt es sicher besseres als Kinder!). Hat es nicht geheißen, gewisse Störche fliegen über den Winter nicht mehr nach Afrika, weil sie gefüttert werden? Der Hund ist also draußen. Und muss sich etwas einfallen lassen, um zu überleben. Und das ist allemal interessanter, als hinter dem Zaun zu leben. Es ist interessanter, nach Afrika zu fliegen, als auf die fütternde Hand zu warten.

    Wann war mein Leben als Autorin am freiesten? Bei meinen ersten drei Büchern. Die hatten noch recht wenige Seiten, aber ich war wie besessen beim Recherchieren und Schreiben. Beim fünften übrigens ebenfalls, das war ganz auf meinem Mist gewachsen. Und das wurde mir dann auch vorgehalten, dass es sich schlechter verkauft hätte als der Vorgänger. Und da hatten sie mich am Haken, da begann ich, an diesem imaginären Zaun herumzulaufen und mich schuldig an dem vermeintlichen Flopp zu fühlen!

    Diese Bilder werden mir helfen, baldmöglichst die Grenze, die keine ist, wieder zu durchbrechen. Dazu brauche ich in nächster Zeit auch mehrere Ortswechsel. Ich will raus aus dieser Tretmühle, wenigstens für eine Zeit, um nicht mehr zu kreiseln, sondern den Weg weiterzugehen, den ich schon so lange gegangen bin. Und wenn ich mich nicht täusche, habe ich heute eine Art Wegweiser gesehen.

    Herzlichst
    Christa

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  7. Liebe Christa,

    wie gut ich dich verstehen kann mit deinem Gedankenkreisel. Mir ging und geht es ganz ähnlich, seit ich ohne Agentur und ohne Verlag bin.
    Plötzlich ist sie wieder da, die Freiheit, zu schreiben, was ich will. Und was mache ich, statt sie zu nutzen? Weiß vor lauter Möglichkeiten nicht, wo ich anfangen soll.

    Ich wünsche dir alles, alles Gute auf deinem Weg aus der Tretmühle und einen scharfen Blick auf die richtigen Wegweiser.

    Herzlichst
    Marie

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  8. Liebe Marie,

    ich kenne Autoren, die machen sich nach der Trennung von einer Agentur sofort auf den Weg nach einer neuen, und sei es mit einer vagen Idee oder einem Exposé. Das möchte ich auf keinen Fall. Im Moment kreiseln meine Gedanken um etwas ganz anderes:
    Wo man ein paar Tage Kurzurlaub machen könnte und nicht ins gleiche Wetter reinkommt, nämlich Regen und 11°.
    Herzlichst
    Christa

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