Freitag, 1. Oktober 2010
Bürgerkrieg in Stuttgart
Gestern ist es in Stuttgart bei der Räumung des Bahnhofsgeländes zu gewalttätigen Eskalationen gekommen. Unter anderem berichtet der Spiegel darüber. So verfahren wie diese habe ich noch keine Situation erlebt. Die Polizisten wurden als Feinde erlebt, welche die Bürger, die teilweise noch nie in ihrem Leben demonstriert hatten, an Leib und Leben zu bedrohen schienen. Unter anderem habe ich einen Bericht gelesen über einen durch Tränengas verletzten Rentner, dem weder Polizei noch Sanitäter zu Hilfe kommen wollten. Als sich die Demonstrationen noch im internationalen Rahmen bewegten, gingen die Ordnungshüter fast zartfühlender mit den Blockierern um- so erlebt in Mutlangen (Pershing II-Raketen), wo sehr viele Menschen weggetragen wurden. Aber es gab immer auch Eskalationen wie in Wackersdorf. Die SPD hat einen Volksentscheid beantragt und wurde als Verräter beschimpft, weil der neue Bahnhof im Untergrund und Bahnschnellstrecke nach Ulm ja schon 20 Jahre lang geplant waren. Derweil wird weiter abgerissen, heute Nacht wurden die alten Bäume im Schlosspark gefällt. Manchmal sind wir, selbst im Winter, nach Stuttgart gefahren, um in der alten Platanenallee spazieren zu gehen. Sie sollte noch im Juli unter Denkmalschutz gestellt werden, wie übrigens der Hauptbahnhof ebenfalls unter Denkmalschutz stand. Wo ich auch hinkomme, beobachte ich eine zunehmende Betonkopf-Denkweise: Alles, was lebendig und daher schwer zu verwalten ist, wird mit Beton niedergemacht, nicht nur in Stuttgart. Selbst im Kloster Zwiefalten wurden Bäume gefällt und es starrt nun ein gesichtloser, menschenleerer Platz auf die Vorbeifahrenden. Am Ende wird in Stuttgart eine Schuttwüste bleiben und ein 7-milliardenschweres Bauvorhaben, möglicherweise auf 18 Milliarden steigend, das kaum auf irgendeine Akzeptanz stoßen wird. Ministerpräsident Mappus wird für die Gewalteskalation verantwortlich gemacht-während der Räumung war er auf dem Bauerntag und trank Bier. Es werden schon Stimmen laut, die sagen, das wird das Aus für Angela Merkel bei den nächsten Wahlen sein.
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Liebe Christa,
AntwortenLöschenDu sagst es - freier Wille wird im weitesten Sinn betoniert. Beispiele aus Wien? Das wäre auch der Wunsch unserer Hausherrn für unseren herrlichen Hof; am Praterstern herrscht auch nur mehr Hitze (obwohl der Bahnhof selbst gelungen ist in seiner Weiträumigkeit), da der Vorplatz fast pflanzenlos ist, das bisschen Alibi-Bambus ließ man vertrocknen.
Aber was will man? Die Leute können nichts tun, wenn so viele nichts ausrichten, und letztlich wird man sich daran gewöhnen (müssen) und die Bahnhofsläden sonntags zum Shopping frequentieren. Und das ist das letztgültige Ziel ...
Desillusionierte Grüße ...
Anni
Irgendwer muss all diese Leute ja mal gewählt haben? Oder ist das wie bei uns in Frankreich mit Sarkozy: Hinterher will's keiner gewesen sein?
AntwortenLöschenWenn die Leute doch auch nur annähernd so viel Lust am Wählen hätten...
Herzlichst,
Petra
@Anni: Komisch, selbst auf dem Dorf haben sie einen Platz baumfrei gemacht, dann kamen Beton und eine Jungkastanie, die gleich darauf vertrocknete ...Ich denke auch, dass in zwei Jahren viele den Bahnhof benutzen und mit dem ICE nach Ulm fahren. Ich finde es aber, gerade für Deutsche, wichtig, nicht mehr alles einfach hinzunehmen.
AntwortenLöschen@Petra: Ich habe mir vor etlichen Jahren gesagt: Wenn weiter mit absoluter Mehrheit CDU gewählt wird, mache ich nichts mehr. Und so war es dann auch ...
Herzlichst
Christa
Liebe Christa,
AntwortenLöschenIch denke, dass die Nutzung des Bahnhofs mehr mit Abstumpfung zu tun hat ... wir haben uns dermaßen vernetzt, Twitter war voll von den Protesten, es wird soviel berichtet, und was nützt es?
GLG
Anni
Liebe Anni,
AntwortenLöschenvöllig desillusioniert bin ich noch nicht, auch wenn ich nicht mehr zu Großdemonstrationen fahre. Auch wenn der neue Bahnhof und das Abschlagen der Bäume von vornherein nicht verhindert werden konnten, so hat das Aufmucken der Bevölkerung die Sache doch in den Blickpunkt zumindest der deutschen Öffentlichkeit gerückt! Aha, Widerstand ist noch möglich, dachte ich schon vor Wochen.
In der Friedens- und Umweltbewegung grassierte damals ein Wort, das hieß: Einen Scheißhaufen zu beschreiben heißt noch nicht einen Scheißhaufen zu beseitigen. Und auch Demonstrieren heißt nicht, ihn zu beseitigen. Aber das Demonstrationsrecht ist eins, das mühsam erkämpft worden ist und das weiterhin Ausdruck einer freien
Meinungsäußerung bleiben wird. "Wir können nichts tun" und "sie machen ja doch, was sie wollen" sind Worte, die ich oft gehört habe und immer wieder höre. Natürlich sitzen sie am längeren Hebel, denn das Volk, wie Petra zu Recht sagt, hat sie ja gewählt. Als fünfhundertttausend Mneschen im Hofgarten von Bonn standen, hielt der Cowboypräsident Ronald Reagan eine Rede. Er sagte, er habe den nächsten Weltkrieg durch die Auftstellung seiner Atomraketen in Mutlangen verhindert. Davon, dass er in tödlicher Weise zum weltweiten Wettrüsten beigetragen hatte, sagte er nichts.
Für mich sind solche Großdemonstrationen ein Indiz für die demokratisch-freiheitliche Entwicklung einer Gesellschaft. Und vielleicht, so wäre meine Hoffnung, muss man eines Tages nicht mehr sagen, der Franzose stürme den Bahnhof, die Griechen können ihren Staat lahmlegen, während der Deutsche sich erstmal eine Bahnsteigkarte kauft!
Herzlichst und auf die "Ästhetik des Widerstands!"
Christa