Heute haben wir das Kontrastprogramm zu gestern abgezogen. Wir fuhren nach Tübingen, wo ich seinerzeit sieben Jahre lang gelebt und studiert hatte. Ein wolkenverhangener, herbstlicher Schein lag über den alten Mauern, und obwohl ich die Stadt seither oft besucht habe und kenne wie meine Westentasche, erschien sie mir wie neu. Es war alles noch da, die Marquartei, das Atelier-Kino, das Haus in der Haaggasse, in dem ich wohnte, der Club Voltaire, der Jazzkeller und die Weinstube Göhner. Die Leute in der Stadt bewegten sich entspannt, es war eine Atmosphäre wie im Süden. Auf dem Marktbrunnen saßen einige Junge, einer, der aussah wie mein Sohn David, spielte Gitarre.
Am Anfang der Haaggasse ist ein neues Antiquariat eingezogen. Während wir die Klassiker und Krimis begutachteten, zupfte ich meinen Partner am Ärmel und sagt: Guck mal, da liegt ja mein Mörike. Voller Tatendrang, wie immer, riss er das Buch an sich, eilte zu dem Buchhändler hinein, zeigte mit seiner beringten Schlagzeugerhand auf mich und erzählte, ich sei die Autorin dieses Buches. Die sind von einem anderen Antiquariat, sagte der Buchhändler, der verkauft es stapelweise. Als ich reinkam, drückte er mir würdevoll die Hand. Ja, besser sie kommen unter die Leute als überhaupt nicht, zu einem vernünftigen Preis. Und das war der letzte Sonntag, an dem die Tübinger Buchhändler ihre Bücher verkaufen durften. So wie es gestern der letzte Tag war, an dem die Stuttgarter Grabkapelle geöffnet hatte.
Bei dem Antiquar habe ich mir "Madame Bovary" von Flaubert gekauft, das fehlte noch in meinem Fundus, und ich habe gerade in letzter Zeit nur Gutes davon gehört.
Hach Christa,
AntwortenLöschenda werden alte Erinnerungen wach! Ich habe von 1980 bis 1984 in Tübingen studiert und gelebt. Das ist offensichtlich schon so lang her, dass ich zwar ausrufe "ach ja, die Marquartei", aber im nächsten Augenblick noch überlegen muss, was genau das war?
Bei der Haaggasse klingelt auch irgendwas, ist da nicht dieses alte Fachwerkhotel? In dem habe ich als Zimmermädchen gejobbt und mindestens drei mal den Kammerjäger auf Wanzenfang erlebt (deshalb nenne ich jetzt auch keine Namen) - ein Arbeitsverhältnis, das ich schnell verdrängt habe...
Gibt übrigens in Tübingen auch einen kleinen wunderbaren Buchhändler mit bibliophilen Köstlichkeiten, dessen Name mir auch auf der Zunge liegt und nicht rausrutschen will. Und der Gastl soll immer noch so herrlich chaotisch wie früher sein.
Danke für diese Rückblicke!
Petra
Hi, Petra,
AntwortenLöschendie Marquartei war und ist eine Kneipe in der Herrenberger Straße, die eine Zeitlang vom Studentenwerk betrieben wurde. Früher gab es da sogar einen Kastanien-Biergarten, der aber plattgemacht wurde. Ein Hotel gibt es heute in der Haaggasse nicht mehr außer "Alt-Tübingen", ein Bierlokal mit litauischen Spezialitäten. In der Haaggasse 5 habe ich übrigens mein erstes Zimmer gehabt. Und 200m weiter den "Alten Simpl", neben dem Rebstock in der Ammergasse unsere Studenten- Stammlokale. Gegenüber vom Rathaus, am Anfang der Haaggasse, gibt es auch ein Fachwerklokal, wo lange die Säufer drin waren, Name ist mir ebenfalls gerade entfallen.
Die Buchhandlung Gastl ist nicht mehr am Holzmarkt, sondern am Lustnauer Tor. Ein netter Buchhändler war im Antiquariat vom Heckenhauer, der Buchhandlung, wo Hesse gelernt hat.
Herzlichst
Christa
Hach, ist das schön, da könnt ich stundenlang mitspazieren! Ich saß in den gleichen Kneipen wie du, der Storchen fällt mir noch ein, und dann gab's in / neben einem Programmkino (?) die Verschwörungskneipe der Lilabehosten. ;-) Selbigs Hotel hatte übrigens einen mittelalterlichen Namen, lag gen Marktplatz...
AntwortenLöschenHerzlichst,
Petra
Noch zur Ergänzung:
AntwortenLöschenStorchen und Pfauen gibt es noch, desgleichen den "Ammerschlag". Die Kinokneipe könnte die im Arsenal gewesen sein oder im Atelier. Nahe Marktplatz gibt es das Hospiz, dort selbst den Pfuderer und das Lamm.
War eine shöne Zeit
Christa