Mittwoch, 20. Dezember 2017

Verrückte Weihnachtswelt

Gestern im Supermarkt, unserem Stamm-Edeka über dem Berg. Da sitzen wir manchmal nach dem Einkauf, trinken einen Cappucino und plaudern mit den Bäckereiverkäuferinnen. Mein bestes Stück, als ehemaliger Rock - und Bluesdrummer allgemeines Aufsehen gewöhnt, sagte laut in das Treiben hinein:  So ein Mistwetter mal wieder, da sollte man doch gleich nach Spanien fahren, ganz in den Süden! Nein, ich fliege in die DomRep, meinte die Bäckereiverkäuferin. Am Tisch daneben saßen zwei Herren, die sich später als 90jähriger Mitbürger und sein etwa 35ähriger Sohn entpuppten. Wir sprechen auch gerade über Spanien, meinte der Vater. Ein paar Sätze gingen hin und her, dann zogen sie um an unseren Nebentisch. Es ging von Spanien im Allgemeinen zu Andalusien im Besonderen, wo der Vater in den fünfziger Jahren als Maurer gearbeitet hatte, mit dem großen Latinum in der Tasche. Der Sohn wollte ihn daran hindern, einen lutherfeindlichen Spruch auf spanisch zu zitieren, es ging immer hin und her, was ihn aber nicht hinderte (und gar nicht schlimm war). Zwischen Freihkeitskämpfen unter dem Cid und dem Leben unter Franco ging die Diskussion dann weiter, darüber, wie Luther die Welt verändert hatte und wessen Geistes Kind er war. Mittendrin begann der Vater unvermittelt ein Gedicht von Nietzsche zu zitieren, das er in der Schule auswendig gelernt hatte.
Im Süden
Nach der dritten Strophe endete die Rezitation, erst später entdeckte ich noch drei weitere Strophen. Wenn ich nicht eingeschritten wäre und nach einem Haus in Spanien zum Urlaub machen gefragt hätte, wären wir da sicher noch am Abend gesessen. Abends saß ich dann vor dem Fernseher und schaute mir eine manchmal Loriot-verdächtige Weihnachtskomödie mit Andrea Safatzki an (Vom Atmen unter Wasser). In überspitztem Galopp ging es eineinhalb Stunden um eine Familie, die Weihnachten feiert. Es wurde alles an Rollenklischees, Verwandtschaftsbeziehungen und Slapstickeinlagen aufgeboten, was ein solches Stückchen bieten konnte. Da fiel mindestens zehn mal der Weihnachtsbaum um, der in letzter Minute besorgt worden war und aussah wie vom Sperrmüll. Der Vater hatte sich in seine Musik-Traumwelt geflüchtet und erweist sich als Muttersöhnchen seiner alkoholisierten Mutter (Uschi Glas), während Gundula, die Hausfrau, abwechselnd den Rotkohl verbrennen, den Hund die Bio-Enten auffressen lässt und nach gegenüber zu ihrem Atemtherapeuten (Uwe Ochsenknecht) entschwebt, von dem sie süßliche Träume mit Weihnachtsbaumtänzen hat. Die Eltern und der Bruder mit Frau treffen ein, alle haben was zu meckern, schließlich gibt es Pizza vom Pizzabäcker, und der allergiegeplagte Bruder mit seinen erfolglosen Ratgeberbüchern kriegt Hundefutter zu essen, was ihm außerordentlich mundet. Vater gundulaseits ist dement, verschwindet immer wieder im Klo und nach draußen und outet sich schließlich in einem lichten Moment als einst heißer Galan der Uschi Glas. Der Therapeut brät seit zehn Jahren eine Gans für seine tote Frau, und in einem der Schlussakkorde, nachdem Gundula endgültig zusammengebrochen ist und alle rausgeschmissen hat, tanzt sie mit ihrem Mann einen (fiktiven) Galatanz um den Baum, während der Therapeut vor seiner Gans sitzt und mitrockt. Doch, es hat Spaß gemacht, diese verrückte Komödie anzuschauen und dieses Gespräch im Supermarkt zu führen, manches erinnerte mich an meine Familie und die anderer Leute. Seitdem kann ich den Weihnachtsrummel noch entspannter angehen.