Dienstag, 2. Februar 2016

Die unendliche Geschichte

Es drängt mich, eine Geschichte zu erzählen, weil es eine unendliche Geschichte ist und weil ich viel aus ihr gelernt habe und immer noch lerne. Es geht um ein Tier, das vor einem halben Jahr urplötzlich in mein Leben getreten ist und mich seitdem nicht mehr loslässt. Zum Hintergrund muss ich sagen, dass ich mit Hunden aufgewachsen bin. Meine Eltern hatten zunächst einen wilden schwarzen Dackel, später einen Collie und weitere Collies im Lauf ihres Lebens. Letztere waren durch die Bank lieb und gelehrig, und natürlich liebten wir Kinder sie sehr. Als mein Sohn klein war, übernahmen wir einen Schäferdackel aus dem Bekanntenkreis, der als „neurotisch“ bezeichnet wurde, dabei aber mehr für Heiterkeit sorgte als für Verdrusss. Er hatte den Kopf eines Schäferhundes, den Körper eines Dackels, Kommodenbeine und einen gebogenen Schwanz. Vor allem aber hatte er die Seele eines Schäferhundes, denn er ging gern auf die großen Doggen los – wobei ihn einmal nur der Einsatz meines Stiefels vor größerem Verbiss retten konnte. In der WG, in der ich mit einer anderen Mutter und unseren Kindern später lebte, hatten wir ganz junge Katzen, die noch in die Blumentöpfe kackten, aber sonst oft schnurrend auf dem Sofa lagen. Und so waren mir alle fremden Katzen danach begegnet, nämlich um die Beine streichend, schnurrend und völlig problemlos. Denn auch wenn sie uns manchmal meilenweit in den Wald folgten, gingen sie dann auch wieder nach Hause.

Diesen Eindruck sollte ich vollkommen revidieren. Vor etwa einem halben Jahr, im Sommer, stand plötzlich eine weiße Katze vor meiner Terrassentür und miaute herzerbarmend kläglich. Als ich öffnete, sauste sie herein und gleich wieder hinaus. Das wiederholte sich einige Male. Es dauerte einige Tage, bis ich herausgefunden hatte, dass meine Vermieterin oben sie gefüttert hatte und die Katze nun wollte, dass ich die Töpfe füllte, wenn die andere nicht da war. Das habe ich nicht getan. Von der Vermieterin erfuhr ich dann, dass die Besitzer ein paar Straßen weiter wohnten und sie versorgten und mit ihr zum Arzt gingen, sie aber nicht in der Wohnung halten könnten. Ich sollte bald wissen, warum nicht. Wir wurden sie nämlich nicht mehr los. Seit diesem Zeitpunkt sitzt sie Tag und Nacht irgendwo vor dem Haus, und sobald irgendwo eine Tür aufgeht, rennt sie herbei und will in die Wohnung flitzen. Im sozialen Netz wurde mir unter anderem der Rat gegeben, sie mit kaltem Wasser zu übergießen, das würde sie wahrscheinlich für immer vertreiben. Vielleicht wäre die Sache anders gelaufen, wenn ich nicht davor zurückgeschreckt wäre, es war ja Sommer und sehr heiß. Auf jeden Fall hat diese Katze es geschafft, sich in die Herzen aller Nachbarn einzuschleichen, sodass sie immer runder wurde und im Garten plumpe Sprünge machte. Der Besitzer konnte sie immer noch nicht in der Wohnung halten. Sie wurde immer offensiver, kratzte wie wild an der Tür, sprang an den Scheiben des Fensters hoch und miaute so markerschütternd, dass ich schließlich dem Rat einiger anderer folgte und ihr draußen was zum Essen hinstellte, Trockenfutter und auch Nassfutter. Dann ging sie auch wieder, war aber kurze Zeit später wieder da. Wenn ich mal kurz lüften wollte und sie es schaffte hereinzukommen, raste sie sofort in die Küche und trippelte vor dem Kühlschrank herum: (ich weiß: Muttermilchproduktion fördern!). Andere Male schlich sie sich heimlich rein und lag dann plötzlich auf meinem Bett. Mein Vermieter riet mir immer wieder, sie rauszuschmeißen. Bei denen holte sie sich nur das Futter ab. Ich schmiss sie also so lange raus, bis sie nicht mehr so unverschämt draußen herumtobte, sondern still und friedlich, manchmal stundenlang, vor der Tür saß und wartete. Sie schlief auch immer im Gebüsch um das Haus, was ich an Blättern und Erdbröckchen an ihrem Fell feststellen konnte. Die meiste Zeit des Tages verbrachte sie abwechselnd auf einer Bank unter meinem Fenster und vor der Tür der Vermieterin. Sobald sie drinnen was hörte, kam sie herbeimiaut. Nun, schließlich hatte ich sie soweit, dass sie Besuche machen durfte, auch mal auf einer Decke übernachten, wenn sie patschnass im Regen stand – aber dann musste sie auch wieder gehen. Gefüttert habe ich sie dann nicht mehr. Übrigens ist sie sauber, kackt nirgends hin und ist überhaupt nicht agressiv, wenn ich sie wieder raustrage.

Im Januar kam dann der Winter. Hm, dachte ich, bei der Kälte und dem Schnee wird sie nicht Tag und Nacht draußen herumlungern. Pustekuchen! Sobald ich mit dem Auto angefahren kam, lief sie mir schon entgegen, als wüsste sie, wann ich zurückkommen würde. Dann kam der schwere Schneesturm. Sie drosch mit den Pfoten auf die Tür ein, schrie zum Fenster herein und schaute mich mit großen Augen flehentlich an. Ich hatte inzwischen einen leichten Verfolgungswahn entwickelt und sah sie immer und überall in der Wohnung herumhuschen. Ich bin noch nie gestalkt worden, aber so musste sich das für ein Opfer anfühlen. Dabei merkte ich immer wieder, dass sie eigentlich etwas anderes suchte als Futter. Trotzdem ließ sie sich ungern streicheln, saß immer wieder mit geschlossenen Augen da, strich um die Stühle und strebte zum Kühlschrank. Jetzt wollte ich, dass sie endlich, endlich zu ihren Leuten zuückging, ließ die Rolladen herunter und bewarf sie mit Schnee, als sie weiter an Tür und Fenster ramenterte. Keine Reaktion, rannte zwar weg, war aber gleich wieder da. Ich probierte es auch mit Wasser und mit einer kleinen Ohrfeige (die hatte sie selbst mal einer anderen Katze gegeben, die herbeigeschlichen war), mit Schreien, Rufen und neinnein und Heben des Fußes, wenn sie reinwollte. Darauf reagierte sie nämlich schon, lernte zum Beispiel, nicht einfach aufs Bett oder aufs Sofa zu springen, wenn sie mal hier war. Statt dessen versteckte sie sich hinter der Schlafzimmertür oder unter dem Bett, damit ich sie nicht rauswerfen konnte. Ich warf sie hinaus, es stürmte und schneite, und als ich zur Mülltonne ging und sah, dass sie weg war, atmete ich erstmal durch. Dann traf mich der Schlag, als ich sie auf meinem Bett liegen sah, war und trocken und zufrieden schnurrend. Ich dachte schon, sie wäre durch die geschlossene Tür hereingekommen!

All diese Gewalttaten, für die mich Katzenliebhaber sicher lynchen würden, haben aber ihrer Zuneigung keinen Abbruch getan. Gestern war sie wieder hier, streckte sich auf der Bank und schnurrte, als sie mich sah. Ich habe alle Türen zugemacht und mich auf den Boden im Flur gesetzt. Sie guckte die Küchentür an, starrte auf die Schlafzimmertür, legte sich hin, stand wieder auf, strich mir um die Beine, schnurrte, trippelte, untersuchte die Abstellkammer und fand schließlich den Karton mit dem Trockenfutter. Den rugelte sie solange herum, bis er umfiel. Es kam aber nichts heraus. So verlegte sie sich darauf, ein wenig an meinen Fingern auf dem Boden herumzunagen. Dann bat ich sie zu gehen, was sie auch tat. Heute morgen saß sie auf dem Gatter unterm Briefkasten eingeklemmt und miaute mir ins Schlafzimmer hinein, nur weil sie die Wasserspülung gehört hatte. Am Mittag habe ich mir überlegt, dass Liebe ja auch bei Katzen sicher durch den Magen geht. Ob die Reste der Fischstäbchen, die ich aus purer Faulheit gegessen hatte (immerhin die von Iglu, denen haben sie im Fernsehen noch die beste Güte verpasst) sie vielleicht abschrecken würden? Und tatsächlich, sie verschmähte sie wie auch die anderen Katzen, die öfter draußen vorbeikommen und wieder verschwinden. Vorhin war sie wieder da und schaute mir erwartungsvoll entgegen. Ich brauchte ihr nur die Fischstäbchen zu zeigen, damit sie schleunigst Reißaus nahm! Fazit: Diese Katze ist mir sehr ans Herz gewachsen, ich finde sie unheimlich süß, wie man unschwer meinen Schilderungen entnehmen kann. Ich möchte aber, dass sie meine Grenzen respektierten lernt! Und ich glaube, dass ich selten einen so langen Blogartikel geschrieben habe.

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