Freitag, 26. Juni 2015

Warum können wir nicht mehr lesen?

Heute gab es zwei Ereignisse, die mich beeindruckt haben, einmal auf der persönlichen Ebene, dann auf einer allgemeineren. Gemeint ist ein Artikel, den ich bei Nikola Hotel und anderen auf Facebook verlinkt fand: Warum können  wir nicht mehr lesen?  Um meine potentiellen Blogleser nicht mit ellenlangen Worten und Sätzen anzustrengen, möchte ich mich dabei möglichst kurz halten. In dem Beitrag auf dem Verlagsblog wird ein Hugh McGuire zitiert, der sein eigenes Verhalten und seinen Umgang mit der Welt kritisch beleuchtet. Da ist die Rede von seiner Tochter, die in reizendem Kostüm auf einer Bühne herummarschiert. Und statt ihr in diesem wichtigen Moment die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken, twittert er nebenbei und checkt seine Emails. Da ist die Rede von Dopaminen, die entstehen, wenn man kurze Adrenalinausstöße wie beim Öffnen einer Email oder bei der schnellen medialen Kommunikation hat. Und dass er in diesem Jahr nur vier Bücher gelesen hätte. Beim Lesen tauche man ganz in die Welt des Autors ein; das sei intensiver und mehr entschleunigend als alles sonstige Mediale. Ich lasse diesen Artikel einfach mal für sich sprechen, er bringt das Dilemma des modernen Menschen pefekt auf den Punkt.

Ich selbst kann von mir nicht behaupten, dass ich nicht mehr lesen könne. Ich tue es jeden Abend, als Übergang zum Schlafengehen. Aber bis dann bin ich ebenfalls ein Opfer der schenllen Kommunikation. Auch ich kann es mir nicht verkneifen, immer wieder reinzugucken, was so los ist in den Foren und auf den Plattformen. Allerdings kann ich das nuir, wenn ich zu Hause bei meinem PC bin, ich habe kein Smartphone und benutze das Handy nur für Absprachen. Heute Vormittag sah ich nach langer Zeit mal wieder eine von diesen Serien mit systemischer Therapeutin: "Hilf mir doch", das jeden Morgen um 9.50 auf Vox ausgestrahlt wird. Da ging es um eine junge Frau, die nicht nein sagen konnte und sich selbst und ihre Familie in die allergrößten Schwierigkeiten brachte. Dahinter stecke der Wunsch, nicht abgelehnt zu werden, sich Zuneigung zu erhalten. Die Therapeutin riet dazu, sich die Zuneigung an den Stellen zu holen, wo sie auch zuverlässig zu bekommen sei (zum Beispiel beim eigenen Mann) und nicht bei Leuten, die sie letztendlich nur für ihre Zwecke eingespannt und ausgenutzt haben. Meine Frage: Könnte das moderne Dilemma etwas mit diesem "Nicht-Nein-Sagen-Können" zu tun haben? Muss man immer gleich ansHandy rangehen oder Emails öffnen und beantworten? Sucht man Bestätigung in diesen Kontakten? Denkt man, nicht mehr dazuzugehören, wenn man sich partiell ausschließt? Dabei spreche ich nicht über Informationsaustausch und wirkliche Kommunikation, sondern über dieses Doping-Verhalten.