Mittwoch, 31. Juli 2013

Räubergeschichten

Es ist schon ein ganz neues Gefühl, in Gefilden zu wildern, die mir bis dahin völlig unbekannt waren. Hätte ich mir jemals vorgestellt, freiwillig den ersten Akt  von Schillers "Räubern" zu lesen? In der Schule mussten wir Gedichte von ihm auswendig lernen (gluck, gluck, weg war sie) oder: Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande: Ihn schlugen die Häscher in Bande, "Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!"Entgegnet ihm finster der Wüterich. Und ich lese es nicht etwa in einem antiquarischen Buch, sondern beim Projekt Gutenberg des "Spiegel". Nur am Anfang war diese ganz große Freiheit da. Beim biografischen Roman musste ich mich an die Lebensdaten des Dichters halten, beim zweiten an die historischen Daten und Umstände. Diesmal gibt es nur zwei historische Ereignisse, dafür jede Menge kulturellen und stadtgeschichtlichen Hintergrund. Meine Romane habe ich alle erst fertig geschrieben, bevor ich sie angeboten habe, also gab es auch nie eine Deadline. Jetzt habe ich kein fertiges Exposé, die Handlung ist noch völlig offen, und ich kann alles verwerfen, was ich bei Kollegen und durch die Agentur gelernt habe. Es gibt keine Leser, die ich fokussiere, höchstens einen imaginären, dem ich die Geschichte erzähle. Dachte ich beim Schreiben des Krimis noch: Oh, das wird aber den eingefleischten Krimilesern nicht gefallen, entfällt diese Frage jetzt völlig. Denn ich schreibe es wirklich für mich. 

10 Kommentare:

  1. "Dachte ich beim Schreiben des Krimis noch: Oh, das wird aber den eingefleischten Krimilesern nicht gefallen ..."

    Christa!!! Hör damit uff! Ich weiß nicht, ob ich ein eingefleischter Krimileser bin, auf jeden Fall lese ich sehr gerne welche und habe sehr unterschiedliche kennengelernt, und genau das war der Reiz bei der Sache. Würden alle für DEN Leser, den "eingefleischten" oder was auch immer, schreiben, käme auch eingefleischter Normkram dabei raus. Ich lasse mich gern überraschen. Gerade 'n Krimi sollte dieses Element doch enthalten, oder? Was denkst du, warum manche Krimis erfolgreich geworden sind? Oft doch, weil sie ein bißchen oder sehr anders als "der Krimi" waren. Olle Haas, bei dem ich nicht aufhören konnte zu lesen und bei dem ich oft laut auflachen mußte. Val McDermid, die ihre lesbischen Polizistinnen transsexuelle Täter Hand in Hand mit einer starken Chefin, die in den impotenten Polizeipsychologen verschossen ist, jagen läßt. Ich möchte nicht wissen, wieviel "Ich trau mich nicht!" die im Vorfeld hätten sagen können. Oder Karin Fossum, die betont, nicht nur Krimi- sondern eben Schriftstellerin zu sein und die sich an Genreregeln nicht hält und darum, wahrscheinlich genau darum, wunderbare Bücher schreibt, die auch Krimis sind. Wulf Dorn, der sich an Täter mit ungewöhnlichen psychiatrischen Diagnosen wagt, kein leichter Stoff, aber sauspannend. Was ich die ganze Zeit sagen will: Mach dein Ding! Ich bin sehr neugierig drauf, auch, weil du beruflich, wie ich schon schrub, in deinem Stoff badest. Und ich mag "Psychokram".

    AntwortenLöschen
  2. Hallo, Alexina,

    "Trigger" von Wulf Dorn habe ich sogar zweimal gelesen. Daran dachte ich, als ich die Worte hörte: Eine Psychologin passt nicht in den Schwarzwald. Der Kommissar muss schrullig und die Ermittlerin (die Journalistin) nach außen taff, innerlich jedoch sensibel sein. Essen hätte in einem Krimi nichts zu suchen, las ich im Kommentar zum Krimi einer Kollegin. Von daher kam ich ab und zu darauf, über die Interessen von Krimilesern nachzudenken. Da ich ihn eh (noch) nicht anbiete, kann ich ihn gern auch an Interessierte verschicken! ;-)

    Herzlichst
    Christa

    AntwortenLöschen
  3. Und der erste Mord sollte möglichst bald am Anfang geschehen.

    AntwortenLöschen
  4. Liebe Christa,
    wenn Essen in einem Krimi nichts zu tun hätte, würden der Welt die wunderbaren Krimis um Monsieur Pamplemousse und seinen Spürhund Pommes Frites fehlen ... die ermitteln grundsätzlich beim Essen, nebst Rezepten für die Leser. Es gibt sogar das Genre kulinarischer Krimi!!!
    Lass dich nicht immer von einzelnen Leuten so verunsichern. Mach DEIN Ding!
    Herzlichst, Petra

    AntwortenLöschen
  5. Hab ich ja schon gemacht, Petra, sicher zum Missfallen bestimmter Leute! :-)

    AntwortenLöschen
  6. Die Büchereulen können Gedanken lesen, hier isser, der Thread zum Thema:

    http://www.buechereule.de/wbb2/thread.php?threadid=74781

    In Sachen Erwartungen von Krimilesern könnte man also vollkommen beruhigt sein. Der Krimi mit dem Mord auf den ersten Seiten und ohne Essen drin ;-) findet seine Leser, wenn er gut gemacht ist. Das Besondere auch. Der mittelmäßige Einheitsbrei nervt.

    Ich habe noch ein bißchen zum Thema grübeln müssen (bei diesem Wetter!), und ich denke, das Problem ist vielleicht gar nicht, "sein Ding" zu machen, sondern mit den Reaktionen fertigzuwerden. Die "Das macht man nicht!"-Tante ist ja noch harmlos ... Wir kennen die doch. Der Mann muß größer und älter sein. Frauen küssen keine Frauen. Samstach is Putztach. Die Hecke muß regelmäßig beschnitten werden. In den Krimi gehört kein Essen. - Soll sie sich ihre Welt zurechthämmern und uns in Ruhe lassen. Vielleicht wollte sie es ja auch nur mal gesagt haben. Darf sie natürlich.

    Es kann aber heftiger werden. Ich erinnere mich an Diskussionen zum Thema "Der Mörder/Stalker bringt das Haustier der Protagonistin um". (Oder der Soziopath war als Kind ein Tierquäler, und das steht dann so in dem Krimi drin.) Hörste, wie das Empörungsrauschen anschwillt? Gleich ist es da und fegt dich hinweg! Unwürdige, du hast dein Existenzrecht auf diesem Planeten verwirkt! DICH sollte man häuten und braten!

    Oder im Jugendbuchbereich diese Leute, die immer genau wissen, was man "unserer Jugend" nicht zumuten darf. Probleme und Realistisches und so. 'ne differenzierte Darstellung von etwas, "wo doch alles klar ist". DER ist kein Vorbild und darf nicht geliebt werden, sonst vermittelt die Autorin eine fragwürdige Botschaft. Heiliger Bimbam! Klar, junge Leute können nicht denken und übernehmen alle wesentlichen Lebensansichten aus dem Buch, das sie gerade gelesen haben.

    Ich kann mir vorstellen, daß das an einem Schriftsteller nicht spurlos vorübergeht. Daß da doch mal ein "Vielleicht sollte ich lieber nicht ..." in die Gedanken schleicht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man überhaupt nicht an sein Publikum denkt. (Markt, Verlage und so habe ich jetzt mal weggelassen.) Oder eben an die "Wächter", die jetzt überall auftauchen. ("Was?! Deine Heldin lebt in einer weißen Mittelstandsfamilie?! Die Eltern sind VERHEIRATET?! Heterosexuell?! Du weißt aber schon, daß du aus einer privilegierten weißrassistischen Position heraus ein überkommenes Modell transportierst und damit Rassismus, Sexismus und Heteronormativität verfestigst?") Ich werde den Eindruck nicht los, daß es heute wieder lauter wird, das Klappern der Scheren im Kopf.

    Darum kann ich nur jeden bestärken, der frei werden oder bleiben will. Aber ich möchte dir auch mal schreiben, daß ich Verständnis habe, Christa, wenn da immer so ein "Man sagte mir mal, ich darf nicht ..." in dir tickert. Es ist ein Prozeß, und es ist auch okay, mal nachzugeben. Man merkt schon, wann es einem wichtig genug ist, sein Ding zu machen. Vielleicht passiert das gerade durch solche Auseinandersetzungen, auch wenn die Energie fressen und manchmal einfach nerven.

    @ Petra: Danke!

    (Monsieur Pamplemousse und Pommes Frites kenne ich noch nicht, da gucke ich doch mal.)

    Nochmal @ Christa:

    Du könntest deinen Krimi an Interessierte verschicken? Ich beginne gleich mit dem Stalking per E-Mail. ;-)

    AntwortenLöschen
  7. Das hilft mir wirklich sehr, Alexina, denn ich dachte schon, na ja, es ist leicht zu sagen, mach mal dein Ding, die Haue nachher kriege ja ich. Vom Agenten, vom Verlag, vom Ldektor, von den Lesern. In einer Leserunde habe ich erlebt, dass jemand schrieb: Wann knutschen die denn endlich mal? Eine Kollegin wurde als Tierquälerin beschimpft, weil sie eine Katze töten ließ. Eigentlich ist das mit dem getöteten Tier ja schon wieder ausgelutscht, und trotzdem hat es sich bei meinem Krimi so entwickelt. Ja, da habe ich gedacht: Was werden wohl die Leser sagen? In meinem neuen historischen werde zu viel gekocht, schrieb ein Blogger, aber was macht eine Köchin denn anderes? Warum kauft jemand so ein Buch? Die Antworten bei den Eulen habe ich mir durchgelesen. So geht es mir auch mit vielen Krimis. Wobei ich den letzten "Nacht des Zorns" von Fred Vargas recht gut fand. Und allerdings gerät Adamsberg da in die Klauen des Verbrechers!

    Früher habe ich das, was bei mir passiert, immer "Die Schere im Kopf" genannt, eine Art Zensur, die durch Meinungen anderer entstanden ist. Ganz davon lösen kann man sich nicht mehr, wenn man veröffentlicht.

    Der Schwarzwaldkrimi wurde von einem Testleser gelesen und ein paarmal überarbeitet. Ja, es wäre mir wichtig, noch Feedback dazu zu bekommen. Am Montag bin ich wieder da, dann könnte ich dir den Text schicken, sobald ich deine Mailadresse habe!

    LG und herzlichst
    Christa

    AntwortenLöschen
  8. Wunderbare Sachen, die du geschrieben hast, Alexina.
    Und doch, Christa, die Schere im Kopf kann man überwinden. Auf der einen Seite ist das etwas, was eigentlich jeder Mensch mehr oder minder verinnerlicht hat: die sogenannten inneren Zensoren. Auf der anderen verhindern sie Kunst.

    Christa, im therapeutischen Beruf müssten dir Techniken bekannt sein, wie man die beherrschen lernt und woraus sie bestehen können (äußere Kritik, Eltern, Erziehung, Unbewusstes etc.).

    Es gab mal einen phantastischen Kurs der Stanford University als Buch in einer Unterrichtsreihe von Creative Writing, wo es nur darum ging, die inneren Zensoren wegzutrainieren, die von äußeren ja leicht befeuert werden, wenn man zu sehr darauf fokussiert. Ja, man kann lernen, diese Zensoren zu erkennen, die eigenen zu definieren ... und ihnen den Laufpass zu geben. Sich zu schützen. Und gerade in der Öffentlichkeit braucht man auch einen Hornhautmantel.

    Ich denke, jeder Künstler, der ernsthaft Kunst macht, kommt irgendwann an den Punkt, diese Zensoren zu killen. Weil darunter die sogenannte "innere Stimme" vergraben ist, weil man genau dann an die eigenen inneren kreativen Quellen gelangt. Bevor man diesen Punkt nicht bewältigt hat, wird das ein ewiger innerer Kampf sein.

    Das Ergebnis: Man lernt, damit zu leben, anders zu sein. Nicht überall hinzupassen, nicht pflegeleicht zu sein, womöglich Menschen aufzuschrecken. Man lernt diesen gesunden "Größenwahn", auf die innere Stimme zu hören. Man lernt, "draußen" zu sein. Man kann damit alles verlieren, was einem sicher und vertraut schien ... und Neues gewinnen. Und das ist unbequem und macht Arbeit und verhindert ein bürgerliches Leben ;-)

    Und dann gibt es den anderen Weg: Man muss nicht Künstler werden, um Bücher zu schreiben. Man muss nicht "gegen" etwas oder jemanden arbeiten, sondern kann auch glücklich im Strom schwimmen. Man kann sich dem widmen, anderen Freude zu bereiten anstatt sie aufzuscheuchen. Und sich mit den inneren Zensoren arrangieren.

    In der Schriftstellerei sind beide Wege möglich. Aber irgendwann muss ich mich für einen entscheiden, sonst verreisst es mich.

    Herzlichst, Petra

    AntwortenLöschen
  9. An dem Punkt mit der Schere waren wir schon mal, Petra. Das war damals noch mehr die Folge vom Testlesen. Je mehr Testleser, desto mehr Meinungen. Daraus nun wieder die Folge war, seine Testleser genau auszusuchen, nämlich solche, die das Wesentliche erkennen, unterstreichen und dazu anregen, noch Besseres rauszuholen. Vieles steht und fällt mit dem Genredenken, glaube ich. Über all das könnte ich nun einen Aufsatz schreiben, aber ich möchte mich auf einiges Weniges beschränken. In unserer therapeutischen Arbeit haben wir gelernt, mit Übertragung und Gegenübertragung zu arbeiten. Das heißt, wenn mich ein Klient beschimpft, kann mich das zwar treffen, aber es lässt mich nicht grundsätzlich an meiner Arbeit zweifeln, weil ich weiß, das ich gar nicht "gemeint" bin. So auch die Kritik der Leser: Jeder argumentiert von einem anderen Standpunkt aus. Wesentlich für mich sind die, die verstehen, was ich sagen wollte. Oder ich arbeite mit inneren Bildern, wie bei der Gestalttherapie. Auf den Autor bezogen, könnte das so aussehen:
    Ich bin eine Vogelmutter und sehe Hunderte von weit aufgesperrten Vogelkinderschnäbeln. Ich habe Nahrung beschafft. Nun schreit jedes Vogelkind, dass es etwas Anderes haben möchte. Das Futter ist alles, was ich habe, sage ich als Vogelmutter. Seid froh, dass ihr überhaupt Futter kriegt! Daraus folgt, dass es für die Masse Einheitsbrei sein muss, damit es jedem gefällt. "Anders" zu sein, damit lebe ich schon mein Leben lang. Ideal wäre es für mich, wenn man sich nicht entscheiden müsste, sondern das schreibt, was einem auf der Zunge liegt und trotzdem
    anderen ein Lesevergnügen bereitet.

    Herzlichst
    Christa

    AntwortenLöschen

Mit Ihrem Kommentar erkennen sie die Datenschutzerklärung dieses Blogs an.(Oben in der Navigationsleiste)