Sonntag, 14. Januar 2018

Hinterm Horizont gehts weiter



Beurener Heide (schwäbische Alb) 2013
In diesen trüben Tagen, die nicht nur gefühlt schon endlos dauern, gehen mir immer wieder zwei alte Songtexte im Kopf herum: "Here Comes the sun" von den Beatles (Abbey road) und "Hinterm Horizont geht's weiter" von Udo Lindenberg. Eigentlich ganz naive Texte, die nicht für sich alleine stehen könnten, aber unvergesslich interpretiert wurden. Beide handeln vom Dunkel in uns und um uns, das unweigerlich vom Gegenteil abgelöst wird - so ist das Gesetz der Natur. Dank seiner Mobilität kann der Mensch dem für kurze Zeit entfliehen, indem er per Jet in wärmere Länder entflieht oder, wie wir gestern, eine kurze Auszeit lang in die Sonne fährt. In Offenburg schien sie mehrere Stunden, und wir haben die Stadt ganz neu entdeckt. Viele französische Wortfetzen waren zu hören, viel badische Lebenslust war in den Straßen, den Cafés zu spüren. Sogar die Autofahrer schienen uns humorvoller und souveräner als bei uns im superschaffigen (und manchmal auch muffigem) Schwaben. Und natürlich haben wir uns wieder vorgenommen, spätestens im Februar dem Frühling entgegenzufahren. So, wie es Goethe mit seinen Ländern meinte, in denen die Zitronen blühn. Irgendwie hatte ich immer gedacht, früher hätten die Schriftsteller an der Côte d’Azur überwintert. Das stimmt aber gar nicht. In Nizza waren russische Literaten wie Gogol und Tschechow zu Gast, bedingt durch den Aufenthalt des Zaren. Thomas Mann und weitere 500 Deutsche hielten sich zwischen 1933 und 1942 teilweise in Sanary-sur-Mer, in Bandol und Le Lavandou auf. Aber nicht, weil letztere so viel Geld hatten und die Sonne genießen wollten, sondern weil sie auf der Flucht vor den Nazis waren. Im nicht so fernen Süden lässt es sich weniger gut überwintern. Im Tessin fror sich Hermann Hesse einen Ast ab und floh nach Bern, um wenigstens etwas Wärme, Gesellschaft und Kultur zu haben, Nietzsche drehte seine philosophischen Runden in Sils Maria, und Heinrich Böll lebte zeitweise in Irland, wo er sicher einen Anflug von Freiheit fand.

Nichtsdestoweniger sollen Stare, die in den Süden fliegen, weniger oft sterben als ihre Artgenossen, die im alten, dunklen Nordwinter bleiben. Was also bleibt einer Autorin übrig, die sich einfach nur nach der Sonne sehnt und auch kein größeres Projekt an der Hand hat, mit dem sie in andere Gefilde abheben könnte? Nach achtzehn Jahren des intensiven Schreibens, nach einer Zeit des Überarbeitens der letzten zu veröffentlichenden Texte ist sie zunächst einmal frei, die Welt steht ihr offen. Persönlich hat sie Wertschätzung durch die Verlage erfahren, man hat sie nie rausgeschmissen, man hat sich um ihre Werke gekümmert. Was die finanzielle Seite angeht, hat sie wie meisten Autoren eine solche Wertschätzung nicht erhalten, und auch andere Künstler und Kreative nicht. Doch das ist eine andere Geschichte, die an anderer Stelle schon diskutiert wurde. Ich versuche die Kollegen zu unterstützen, indem ich die Bücher derer kaufe, die ich schätze. Ich halte meine Augen auf. Die größte Wertschätzung aber erfahre ich von einem Verlag, der mir nach achtzehn Jahren immer noch einen Weihnachtsgruß schickt und von der Leiterin des Verlages, die Interesse an meinen vier letzten Büchern gezeigt hat. (Leider ist sie Ende des Jahres dort ausgeschieden). Sie schrieb, sie freue sich darüber, dass ich bei der Unterbringung meiner Werke auch in ihren Verlag gedacht hätte.

Ach so, ja, was bleibt einer solchen Autorin übrig? Sie wird fahren und die Sonne putzen.

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