Mittwoch, 22. November 2017

Heimat finden


Elfinger Berge bei Maulbronn-auch ein Stück Heimat
Gestern sind wir, nach einer langen dunklen Nebelperiode, mal wieder ausgeflogen. In den Schwarzwald, der ja gleich vor unserer Haustür liegt. Ein wenig Sonne hatte sich durch die Schleier gekämpft, und je weiter wir nach Süden fuhren, desto klarer wurden die Umrisse der Berge, desto hübscher die Häuserfassaden, desto lebendiger die Läufe der Flüsse und Bäche. In einer Bäckerei naschte ich vom Kuchen meines Gegenübers -ich selbst bestelle mir fast niemals einen, weil ich lieber Deftiges mag. Es war mir, als hätten diese Heidelbeeren, Melonenschnitze und Himbeeren noch nie so intensiv geschmeckt. In einer anderen Stadt stellten wir das Auto an den Rand der Fußgängerzone und liefen in eine märchenhafte Lichterzone hinein. Schramberg, das war bisher immer die Stadt der Uhren gewesen, Industriestadt, allenfalls noch interessant durch die rußgeschwärzte Burg weit oben, die wir schon einmal für Recherchen durchstreift hatten. Jetzt war es wie eine Offenbarung, als hätten wir diese Straße noch niemals gesehen. Rechts und links Geschäfte aller Arten, Kuchen und bunt verzierte Torten, glänzender Schmuck, Kleidung, Cafés, Restaurants, Kneipen, in denen die Gäste wie Könige im Schaufenster thronten. Und überall gelassen schlendernde Menschen, die noch nicht vom Weihnachtstrubel erfasst waren.

Dann eine kleine Buchhandlung. Da gab es merkwürdigerweise keine Riesenauslage von Krimis und Thrillern, auch keine Regionalkrimis, sondern eine Abteilung "Heimat". Was ist das eigentlich, Heimat, wie konnte der Begriff von einem so verstaubten und belasteten zu einem immer mehr gebräuchlichen werden? Heimat ist, wo man herkommt, wurde früher oft gesagt, hat was mit der Kindheit zu tun, mit dem Geschmack und Geruch der alten Zeiten. Ich hatte früher immer gedacht, es sei der Ort, wo man sich am meisten zuhause fühlt und wo die leben, die einem am liebsten sind. Inzwischen würde ich den Begriff anders definieren, und das erklärt auch dieses Gefühl, das ich während der Fahrt in den Schwarzwald empfand. Es ist das Gefühl, mit sich selber im Einklang, ganz da zu sein und die Welt mit allen Sinnen zu erfahren. Es ist kein immer währendes Gefühl, ähnlich dem Glück, es kann sehr schnell durch den Einbruch der schnöden Außenwelt wieder zerstört werden.

Parallel dazu las ich, dass die Besitzer von Smartphones nur noch acht Minuten täglich telefonieren würden, alles verlagere sich zunehmend auf die Online-Kommunikation. Dass die Kids es aber neuerdings genießen würden, Unkraut zu jäten. Der Wald stehe in der Werteskala der Deutschen inzwischen auf Platz eins, noch vor Gesundheit und Familie. Wald aber eher als Event, in dem man sich schnell und effektiv erholen wolle. Mir ist schon klar, woher das alles kommt, man braucht sich nur die Bestenlisten anzusehen. Wald und Bäume bei den Büchern, bei den Kalendern, gestern war sogar ein ganzes Schaufenster als Wald eingerichtet, mit Wolf, Wildschwein, Hase und Igel darin. In Pforzheim gibt es ein Schnellrestaurant, in dem die Gäste zwischen Holzstämmen sitzen, ich glaube, es servieren sogar Kellner und Kellnerinnen mit Dirndln und Lederhosen. Seit Dörte Hansens "Altes Land" ist der Heimatbegriff wohl endgültig salonfähig geworden. Und der Titel "Das Kind in dir muss Heimat finden" steht schon monatelang auf der Bestenliste. Ich persönlich habe meine Heimat in der Natur und in der Kultur, finde sie in Büchern, im Schreiben und bei Menschen, die ähnlich denken und empfinden wie ich. Gerade vorgestern habe ich meinen Roman beendet und ihn noch nicht irgendwohin geschickt. Denn solange er noch bei mir ist, gehört er zu meinem "Heimatgefüge".