Dienstag, 5. April 2016

Vernetzt und verkabelt

Heute las ich einen kurzen Artikel in der Zeitung, den ich normalerweise gar nicht beachtet hätte. Der Titel lautete: Telekom setzt auf ein intelligentes Zuhause. Heutzutage seien pro Haushalt etwa neun Geräte miteinander vernetzt, bis zum Jahr 2022 sollen es 500 sein. Der nächste große Trend sei der, das alles per Smartphone zu steuern. Aber sie geben zu, dass sie das nicht machen, damit der Kunde und Bürger es angenehmer oder leichter hätte. Nein, sie wollen den Kuchen nicht anderen, vor allem amerikanischen Anbietern wie Google oder Nest überlassen. Zu dem Zweck gründen sie eine eigene Plattform. Ich frage mich oft, wieso eigentlich immer als selbstverständlich vorausgesetzt wird, dass jeder ein Handy, ein Smartphone oder auch einen Computer hat. Und empfinde es als Zwang und Bevormunderei.

Ich gehöre ja zu einer Generation, die jene guten alten Zeiten noch erlebt hat, von denen nur noch hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Es möchte sich ja keiner als altbacken und Fortschrittsverweigerer zu erkennen geben. Durch meine Beschäftigung mit dem Schreiben habe ich im Lauf der Jahre viel über Computer und digitale Netzwerke gelernt. Inzwischen kann ich sogar meine Steuererklärung digital ausfüllen und selbst Formulare finden, die bei der Finanzverwaltung gar nicht angeboten werden. In Foren konnte ich sehen, dass Leute gezwungen wurden, viel Geld für einen Steuerberater auszugeben, nur um dieses Formular digital auszufüllen. Papier geht so gut wie gar nicht mehr. Dabei frage ich mich, wie andere Leute damit zurechtkommen.

Als ich vor etlichen Jahren nach Umzug ein neues Telefon brauchte, kam noch jemand von Telekom ins Haus und schloss das neue Gerät an. Bei jeder Störung, die ich seither hatte, musste ich mit Robotern verhandeln oder mit echten Menschen, die so schnell sprachen, dass mir ganz schwindelig wurde. Technik und Digitalisierung machen vor nichts und niemandem halt. Dabei ist es noch das geringste, eine Fahrkarte bei der deutschen Bahn am PC zu bestellen. Dauert etwas kürzer, als wenn man zum Bahnhof geht und wartet, bis der Beamte endlich durchgeblickt hat. Als ich das Auto meines Vaters übernehmen sollte, musste ich stundenlang eine Anleitung studieren, um herauszufinden, wie das Radio ausgeht. Also, ich finde, das Knopfdrücken war doch wesentlich entspannter! In meinem jetzigen Auto ist ein Computer an der Stelle, wo früher der CD-Player war - und der ist jetzt im Handschuhfach. Ein Fernseher wird auch demnächst fällig. Doch ich habe gesehen, dass die Flachbildschirme überhaupt keine Knöpfe mehr haben. Da werde ich mir ein Smartphone kaufen müssen, um damit gleichzeitig das Fernsehprogramm, den Computer und das Essen auf dem Herd regulieren zu können. Zunehmende Digitalisierung führt zu mehr Überwachung. Vielleicht hat das Smartphone ja bald eine Wanze drin, die weitermeldet, welche Gerichte man bevorzugt? Die Daten miteinander vergleicht und einen grellen Warnton ausstößt, wenn man zu viel Fett nimmt?

Wahrscheinlich habe ich keine Wahl, als mich dem Strom der Zeit anzupassen. Zumindest minimal. Und bin froh, bei meiner Mutter noch erlebt zu haben, wie man Sahne mit der Hand schlägt, Kaffee mit einer Mühle mahlt und die Wäsche in einem großen Bottich kocht. Diese Strapatzen haben uns die Maschinen ja glücklicherweise abgenommen. War es früher wirklich besser? Der Kabarettist Christoph Sonntag nimmt die modernen Zeiten gern immer wieder auf die Schippe. Es war nicht besser früher, alles hat viel länger gedauert. Aber es war einfacher und überschaubarer. Und man hat viel mehr Menschen gesehen, die in Kneipen saßen und miteinander geredet haben. Heute haben viele Wirtschaften auf dem Land geschlossen. Und statt miteinander zu reden, fahren sie einander fast von hinten in ihre Autos rein. Ein Riesennetz ist über die Welt gespannt, in dem alle miteinander kommunizieren und dabei mit ihren Smartphones an der Realität vorbeitaumeln. Ich plädiere für Rückbau wie bei den geknebelten Flüssen, die da und dort schon wieder munter in ihren Betten mäandern dürfen! Es gab nämlich noch eine andere Zeitungsmeldung, ich finde sie bloß nicht mehr: Da machte jemand den Vorschlag, dass junge Leute heutzutage wieder lernen sollten, Straßenkarten zu lesen (und im Kopf zu rechnen, füge ich im Stillen dazu). Kinder müssen nicht nur erkennen, dass die Milch nicht aus der Tüte kommt, der moderne Mensch sollte wieder lernen, dass es eine wirkliche, sinnliche Welt gibt, und dass es darin andere Menschen gibt. Dass es noch Wunder gibt, die uns digital nie vermittelt werden können.

Nach dem Schreiben dieses Beitrags habe ich noch ein passendes Interview mit der Cyberpsychologin Catarina Katzer in der WELT vom 6.2.16 gefunden. Sie kommt zu dem Schluss, dass Unkörperlichkeit und Anonymität im Netz enthemmen, und wünscht sich einen bewussteren Umgang mit den Medien. Das Langzeitgedächtnis verkümmere durch die Googelei, Beziehungen würden häufig oberflächlicher und dann durch SMS beendet. Was das Googeln und die noch fehlende Zivilcourage betrifft, muss ich mich an der eigenen Nase fassen. Wobei ich in meinem Netzwerk allerdings noch nie mit Hassparolen konfrontiert worden bin.
Wie-das-Netz-unsere-Psyche-veraendert

Siehe dazu auch: Technisches Verständnis  
im Blog von Annette Weber