Dienstag, 9. Februar 2016

Sich neu sortieren

Mein Vater, der im Jahr 2009 fast neunzigährig starb, hatte ein Lebensmotto. Wann immer sich jemand darüber beklagte, dass etwas nicht mehr so sei wie es war, sagte er mit ironisch verzogenen Mundwinkeln: "You have had it, brother." Mein Vater hatte nämlich vor dem Krieg eine ausgezeichnete Erziehung auf einem britschen Internat genossen. Und auch sonst hat er sein Leben so gestaltet, dass er sich später nie hat beklagen müssen. Er hat die halbe Welt gesehen, das Verkehrssystem seiner Stadt erneuert, war ständig in Bewegung und hatte viel für familiäre Werte und für seine Hunde übrig. Er war der Ingenieur, der Erfinder. Natürlich hatte er auch seine Schwächen und Fehler, aber de mortuis nihil bene.

Er hat sein Leben gehabt wie auch ich. Auch ich habe die halbe Welt gesehen, habe vielen Menschen geholfen, ihr Leben besser zu sortieren, eine Familie, Beziehungen und Freunde gehabt, ein Kind aufgezogen, jahrelang an einer poltischen Bewegung teilgenommen, unzählige Zeitungsartikel geschrieben sowie an die zehn Bücher und unzählige Beiträge in den sozialen Medien veröffentlicht. Zeit, mal wieder eine kurze Bilanz zu ziehen. Das Haus ist besorgt und renoviert, der Garten ist fertig, eine familiäre Angelegenheit steht kurz vor dem Abschluss und die Katzen, die mich im letzten halben Jahr beschäfigten, haben sich mehr oder weniger zurückgezogen (die schwarze Powerkatze hat in eine Zitrone gebissen, die draußen zum Zeichen lag, dass es keinen gedeckten Katzentisch mehr geben wird, und sich geschüttelt). Ich habe alle meine Printbücher auf Stapeln in Buchhandlungen und meine Ebooks in den Shops von Weltbild, Thalia, Osiander usw. und Amazon gesehen. Es gibt Projekte, die anzugehen wären, es gibt soziale Kontakte, die aktiviert werden könnten. Aber ich bin noch in einem Vakuum. Es drängt jetzt nichts mehr, es soll sich entwickeln, so wie es sich richtig anfühlt. Das Schreiben ist als wesentliche Größe geblieben. Aber es nützt nichts, in derselben Schnelligkeit wie bisher Bücher zu fabrizieren. Das Schreiben ist Lebenselixier und erträgt keinen Druck. Vorbildlich ist für mich der gerade verstorbene Roger Willemsen. Der hat alles, was er gemacht hat, das Schreiben von Büchern, das Reisen, die Auftritte und Sendungen, die Interviews mit einer seltenen Hingabe an den Augenblick getan. Das ist seine Hinterlassenschaft für mich, an die ich mich immer wieder gern erinnern werde.

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