Sonntag, 17. November 2013

Die Seele aufschlagen lassen

Ende November haben wir Kollegen unseren alljährlichen Konzeptionstag.Das Leitbild unserer Konzeption besteht u.a. darin, dass nicht nur das Wohl der Klienten, sondern auch das der Mitarbeiter ausschlaggebend für eine Fortentwicklung ist. An diesem Konzeptionstag nun wird es um unsere Ressourcen und die unserer Klienten gehen. Bekanntlich sind Angehörige von sozialen und Gesundheitsberufen besonders prädestiniert, in ein Burnout hineinzuschlittern, Ärzte, Lehrer, Sozialarbeiter, Krankenschwestern. Aber auch Hausfrauen, Handwerker, Manager, Autoren, eigentlich jeder kann in eine solche Fallle hineingeraten-sofern er nicht öfter mal innehält und sich auf eben diese Ressourcen besinnt.

Im September 2012 nahm ich an einem Wochenendseminar über Resilienz-Belastbarkeit als Schlüssel zur Lebensbewältigung-im Kloster Heiligkreuztal unweit der Donau teil. Das hat mich völlig rausgerissen aus der Hektik des Berufs- und Schreiberalltags, die Seele ist sozusagen "aufgeschlagen" und konnte sich neu orientieren. Damals war der Begriff "Achtsamkeit" für mich noch mehr oder weniger esoterisch angehaucht, allenfalls noch buddhistisch besetzt. Aber im Nachhinein verstehe ich, warum stressgeplagte Menschen, auch aus der Großstadt, sich immer häufiger auf diese Weise entziehen. Es ist nämlich nicht nur der Achtsamkeits-Raum, der hier angeboten wird, sondern auch eine Versorgung und Zuwendung, wie es der Normalo in seinem Alltag kaum noch erfährt. Ich erinnere mich: Morgens schritt ich aus der Klosterzelle, vorbei an dem Bücherraum, durch den Kreuzgang zum Refektorium. Dazu gregorianische Gesänge wie im Film "Der Name der Rose". Ein herrliches Frühstücksbüffet, andere Teilnehmer, die einem schnell ans Herz gewachsen waren, Erfahrungen in der Gruppe, Spaziergänge im wunderschönen Klostergarten und in der Umgebung. Man kann zu diesem Zweck Seminare  für Führungskräfte im Kloster Andechs buchen (eine absolute Touristenattraktion!), mit einem Kostenpunkt von 1.700 Euro. In anderen Klöstern, zum Beispiel in Heiligkreuztal, kommt man wesentlich günstiger weg, nämlich unter 200 Euro. Angehörige sozialer Berufe können es auch als Fortbildung ausweisen, denn was ist wichtiger, als seine eigenen Bedürfnisse mit denen anderer im Gleichgewicht zu halten?

Der Begriff "Achtsamkeit" scheint seinen esoterischen Beiklang inzwischen verloren zu haben. Zufällig fand ich einen Artikel im Spiegel Online vom März dieses Jahres: Achtsamkeit-kleine Schritte zur Entschleunigung.Man beachte die Kommentare, die teilweise schon auf den individualistischen, wenn natürlich im Einzelfall durchaus hilfreichen Ansatz hinweisen. Und was mache ich, wenn ich in der Intensivstation arbeite? Bei Aldi an der Kasse sitze? Soll ich da in aller Ruhe die Gesichter der Kunden studieren, die Oberfläche des Computers streicheln oder aufstehen und die Schlange ablaufen? Oder wenn ich als Autor eine Deadline habe? Hier gälte es, Freiräume zu schaffen, in denen sich die Betroffenen erholen können, statt ihre Kraft ununterbrochen zu verschleudern. Sie mal zur Ruhe kommen lassen, Atem schöpfen lassen nach den großen Anstrengungen. Arbeitgeber sollten immer mehr darauf achten, dass die Mitarbeiter eben nicht zu jeder Sekunde des Tages erreichbar sind. Und wenn sie sich selbst unentbehrlich fühlen, sollte man ihnen sagen, dass sie es nicht sind (nein, auch wir Autoren nicht!)Erstaunlich aiuch die Ansicht, die in einem der Kommentare geäußert wurde: Der Fernseher sei inzwischen nur noch das Opium des kleinen Mannes, das Internet dagegen Heroin für alle!

Als Fazit könnte ich noch eigene Überlegungen hintanstellen. Den Kurs "Reduzieren und gewinnen" im Kloster Heiligkreuztal habe ich verpasst, weil er schon lange vor Anmeldeschluss ausgebucht war. Im nächsten Jahr gibt es im Mai ein Seminar "Stress bewältigen durch Achtsamkeit", an dem ich gern teilnehmen würde. Ebenfalls im Mai findet dort eine Schreibwerkstatt "Schreiben im Kloster" statt. Wahrscheinlich ist das nichts für einen "gestandenen Schreiber", aber vielleicht braucht auch der mal eine kleine Loslösungsübung vom Althergebrachten und Vorgegebenem? Der Kurs "Reduzieren und gewinnen" wird dann wieder im November angeboten.