Mittwoch, 23. Mai 2012

Abgrenzung - im Leben und beim Schreiben

Abt Pirmin auf der Reichenau
Abgrenzung ist gerade das heißeste Thema bei meinen Kollegen und Klienten- und bei mir selbst. Es klingt so einfach, mal eben "nein zu sagen - denn was könnte dann passieren? Die Mutter, die sich nicht von ihrer destruktiven Tochter abgrenzen kann, wird selbst immer tiefer hineingezogen. Schuldgefühle blockieren jeden Ansatz auf Selbstbestimmung-und ihr Leben zerrinnt unter ihren hilflosen Anstrengungen, die Tochter zu retten. Dabei hat die genügend Ressourcen, um für sich selbst zu sorgen. Wenn man immer "nein" sagt, kann einen am Schluss sicher niemand mehr leiden. Man kommt nicht voran, landet im Abseits. Es stimmt, der Jasager erfreut sich einer gewissen Beliebtheit-weil man ihn immer für seine Zwecke einspannen kann.
Wenn ich merke, dass andere über meine Grenze gehen und ich selbst meine Grenzen überschreite, ist es Zeit, die Notbremse zu ziehen. In meinem Beruf kann ich die Rolle der Neinsagerin übernehmen. Aber kann ich das auch selbst? In meinem Leben und bei meinem Schreiben? Immer, wenn ich merke, dass ich elementare Bedürfnisse vernachlässige, weil ich mich zu sehr für andere (ja, und auch für das Schreiben mit allem Drumherum) einsetze, halte ich inne. Und überlege: Brauche ich das wirklich für mein Leben? Brauchen andere das für ihr Leben? Ich habe festgestellt, dass meine Klienten sehr schnell selbstständiger wurden, wenn man ihnen nicht immer alles abgenommen hat. Man schwächt ihr Ich, schrieb Wolfgang Schmidbauer in seinem Buch "Die hilflosen Helfer". Man muss nicht immer für alle erreichbar sein, auch in meinem Beruf nicht. Wenn jetzt etwas in der Gruppe passiert, rufen die Bewohner selbst den Krankenwagen.

Was das Schreiben betrifft, ist das schon ein wenig differenzierter. Ich kann zum Beispiel nicht mit Hunderten von Kontakten, die ich im Internet habe, täglich kommunizieren. Ich kann ihnen etwas zum Lesen anbieten, so wie ich meinen Klienten ein Angebot mache. Beim Schreiben verwischen sich alle Grenzen. Wenn ich einmal im Fluss bin, gibt es kein Halten und kein Neinsagen mehr. Wohl aber kann ich die "Umwelt" des Schreibens beeinflussen. Ich kann nein sagen zu übermäßigem Bloggen, Twittern und Facebuchen. Das kann man so dosieren, dass regelmäßige und beidseitig befruchtende Kontakte zustandekommen, so, wie ich es hier im Blog und bei anderen erlebt habe, auch in Foren. Gegenseitig Texte und Bücher auszutauschen kann sehr inspirierend sein! Wenn mich heute jemand fragt, was ich mit den Verlagen anders machen würde, würde ich sagen: Nicht mehr nehmen, was kommt, und nicht mehr alles akzeptieren! Die Kollegen, die selbst ihre Ebooks produzieren und erfolgreich vertreiben, haben da einen möglichen Weg gewiesen. An der Stelle, an der ich inzwischen angelangt bin, frage ich mich: Für wen habe ich die Bücher tatsächlich geschrieben? Was bedeuten sie mir? Bin ich bereit, dafür in einer lebenslangen Warteschleife zu hängen? Gestern sagte mir eine Klientin, sie hätte mein Buch dabeigehabt, als sie mit dem Zug nach X fuhr - und sie hätte fast den Ausstiegsbahnhof verpasst. In solchen Momenten weiß ich,warum ich das alles getan habe. Ja, ich bin dazu bereit, auch wenn ich nicht existenziell abhängig davon bin. Ich sage Nein zu Projekten, zu denen ich keine Lust habe. Ich schreibe keine Bücher, die ich selbst nicht lesen würde. Daneben mache ich mein eigenes Ding, im Leben und beim Schreiben, sage mal ja und mal nein. (Ich hoffe doch, dass ich das einigermaßen durchhalten kann, wir sind ja keine Roboter:-)