Mittwoch, 1. Dezember 2010

Rauhnächte

Die "Rauhnächte" sind bekanntlich die zwölf Nächte zwischen dem 21. Dezember (Wintersonnenwende) und dem 2. Januar. In dieser Zeit kann es passieren, dass die Wilde Jagd aus dem Nichts heraus erscheint und mit viel Lärm, Gerassel und Gepolter vorüberzieht, vorne draus der Teufel, der Wodan, der Schimmelreiter. Man sollte sie nicht beobachten, denn dann kann es passieren, dass man von ihnen mitgerissen wird-und vielleicht sogar stirbt. Man sollte sie mit Speisen, Geschenken und Einladungen besänftigen. Ein Schäfer der Schwäbischen Alb stand an seinen Karren gelehnt und blickte hinüber zum Rauber, einem alten Schloss. Er spielte auf seiner Klarinette und freute sich wahrscheinlich auf den Weihnachtsbraten, als in der Luft, vom Reußenstein her, ein Sausen ertönte. Die wilden Reiter, das Mutesheer, Teufeln gleich, näherten sich ihm in rasender Fahrt. Er wurde emporgehoben und spielte weiter auf seiner Klarinette, als hütete er seine Schafe. Dann verlor er das Bewusstsein. Als er erwachte, saß er zu seinem Entsetzen auf dem Galgen von Esslingen. Auch Froben Christoph von Zimmern, Verfasser der Zimmernschen Chronik (der mich, nebenbei gesagt, zu meiner Pilgerin von Montserrat anregte), berichtet Folgendes: Im Jahre 1550 kam ein Koch mitternächtlich in die Küche, um das Essen für den nächsten Tag vorzubereiten. Eine übernatürliche Helligkeit erfüllte den Raum. Dreizehn Mönche aus Hamburg und zwei unbekannte Reisende, die zu Besuch weilten, hatten sich dort an der Tafel versammelt. Ihre Gesichter waren "verbutzt", so wie es Totengesichter sind. Von Grauen gepackt, rannte er zurück in seine Kammer und versuchte zu schlafen. Am nächsten Morgen waren alle tot, vom Mutesheer vernichtet.
Heute gibt es schauspielerische Führungen im Schwarzwald zur Wilden Jagd, die zwischen 19 und 36 Euro kosten. Den Gästen wird viel Grusel geboten für ihr Geld. Wesentlich ist jedoch, dass wir durch die Beschäftigung mit den alten Mythen erfahren, wie es zu den heidnischen und christlichen Bräuchen, Glauben und Aberglauben gekommen ist. Und was davon heute noch lebendig ist. Eine Klientin von mir erzählte, dass ihre tschechische Mutter niemals Wäsche aufgehängt hätte während der Rauhnächte, denn dann wäre jemand gestorben. Und vielfältig sind die Wettervorhersagen, die Heirats-und sonstigen Glückvorhersagen aus dieser Zeit. Am eindrücklichsten jedoch erschien mir der Hinweis, wenn man während der Rauhnächte durch den Schornstein schaue, dann dürfe man so viele Schoppen trinken, als man Sterne sehe.
Für mich war "Zwischen den Jahren" stets weniger eine Tür zur "Anderwelt" als eine Zeit zwischen den Zeiten, in denen Neues entstehen konnte.