Montag, 23. August 2010

Die Gretchenfrage an den Autor

Gestern war es mal wieder soweit: Bei einem verwandtschaftlichen Besuch
stellte ein junger Mann die Frage, was man denn mit Bücherschreiben so verdienen könne. Was? Na ja, dann könne man es auch lassen, war sein Fazit. Aber könne man dann nicht auch vieles andere lassen, hielt jemand dagegen. Dann braucht niemand mehr einen sozialen Beruf zu ergreifen, Arzt, Lehrer, Krankenschwester oder Sozialarbeiter zu werden. Die waren immer unterbezahlt für das, was sie leisten, und die Banken und Konzerne, die für die wirtschaftliche Situation mitverantwortlich sind, streichen nach wie vor die großen Gewinne ein.
Als ich ernsthaft mit dem Schreiben anfing, habe ich gar nicht an Geld gedacht. Höchstens daran, einen Preis zu gewinnen, worüber ich heute grinsen muss. Heute kann man in einem Spezialranking angucken, wie oft sich ein Buch bei Amazon im Monat verkauft. Das sagt aber nichts über die tatsächlichen Verkaufszahlen, wie wir wissen. Warum tut ein Autor sich das an, fragen sich viele. Eineinhalb Jahre oder länger für ein Buch recherchieren, es schreiben und immer wieder recherchieren und überarbeiten. Um dann vielleicht zu hören, dass es nicht mehr im Trend sei oder die Verkaufszahlen des vorigen Buches nicht stimmten. Welcher Autor, welcher Verlag will schon auf seinen Büchern sitzen bleiben? Aber schreiben, um schnell vergessen zu werden?
Was macht Bücher unvergesslich? Gestern Abend hatte ich nichts mehr zu lesen; da fiel mir ein Band mit "Meistererzählungen" von Dostojewski in die Hand. Die Erzählungen waren deshalb meisterlich, weil die auftretenden Konflikte zeitlos sind. Da nimmt jemand zum Beispiel einen Trinker auf und will ihm seine Reithose schenken. Als die verschwunden ist, verdächtigt er den Trinker solange, bis der sein Bündel nimmt und geht. Er hat immer seine Unschuld beteuert. Einige Zeit später kommt der Trinker wieder, sterbenskrank, verhungert und durchgefroren. Im Sterben beichtet er, dass er die Hose doch genommen habe. Oder der Ehemann, der die Untreue seiner Frau nachweisen will und dabei in Teufels Küche kommt. Am Schluss sitzt die Frau zu Hause und hat ihn überall suchen lassen, wohl noch gedacht, er sei untreu gewesen...das sind Lektionen, die sitzen, und zwar ohne pädagogischen Zeigefinger. Warum haben die Urmenschen Figuren in die Felsen ihrer Höhlen gemalt? Etwa, weil sie ahnten, dass man einmal Eintritt verlangen würde, um sie sehen zu dürfen? "Brotlose Kunst" ist für mich eine Kunst, die von Menschen gebraucht wird, um zu überleben.

2 Kommentare:

  1. Tja, die liebe Verwandtschaft... Mich halten sie inzwischen für durchgeknallt, weil ich gleichzeitig drei schlecht bezahlte Berufe ausübe (Journalistin, Übersetzerin, Autorin), aber wenn ich dann vorschlage, sie könnten für ihre Zeitung, ihre Lektüre mal was drauflegen, murren sie auch. Schnäppchenjäger schauen nicht darauf, dass immer günstigere Schnäppchen andere in Armut stürzen können.

    Die merken aber auch nicht, dass selbst der Firmengründer für seinen Traum wie ein Sklave malocht, dass einer, der eine Fabrik aufmacht, zuerst vor Schulden selten gut aus den Augen schauen kann - und auch Kellnerinnen oder Friseure oder Gärtner so ihre Probleme haben können.

    Solche Diskussionen sind müßig und funktionieren selten. Weil sich sehr viele Menschen nicht mehr vorstellen können oder wollen, dass Arbeit tatsächlich Spaß machen kann. Dass man einen Sinn darin sehen kann. Nicht nur als Schriftsteller.

    Trotzdem ändert das nichts an der Tatsache, dass die meisten Kollegen lausigst und ungerecht bezahlt werden, die Vorschüsse allgemein fallen statt steigen. Und mir schwillt der Hals, wenn ich dann beobachten muss, wie manche sogar Arbeit verschenken und damit sich und die Kollegen noch schneller entwerten.
    Diese Entwertung von Kulturarbeit schreitet in Deutschland rasant voran - und das sagt Grundsätzliches aus über eine Gesellschaft.

    Die Künstlerbohème zur 1900er-Wende hat jämmerlichst gehungert und gefroren, aber erstaunlich mehr Möglichkeiten gehabt als heute, um zu ein paar Francs zu kommen! Das darf man durchaus als Schieflage betrachten.

    Herzlichst,
    Petra

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  2. "Weil sich sehr viele Menschen nicht mehr vorstellen können oder wollen, dass Arbeit tatsächlich Spaß machen kann. Dass man einen Sinn darin sehen kann. Nicht nur als Schriftsteller."

    Das trifft es sehr genau, Petra! Und so werde ich bei der nächsten Gelegenheit, bei der jemand sagt, "lohnt sich nicht, lass es doch bleiben", sagen:
    "Lohnt sich nicht, gibts nicht.
    Es macht mir mehr Spaß als alles andere und wirft immer noch mehr ab als das Fitnessstudio, für das du teuer bezahlen musst." Oder so.:-)

    Herzlichst
    Christa

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