Dienstag, 17. Oktober 2017

Merkelland ist ausgebrannt

Fransenenzian
Als wir gestern vor einer Bäckerei in einem beschaulichen Landstädtchen saßen, kam mir mit einem Mal - schlagartig - zu Bewusstsein, was Frau Merkel und die CDU unter "Wirtschafswachstum" verstehen. Es ging nämlich zu wie auf der Autobahn. Ein Lastwagen, ein SUV, ein PKW nach dem anderen donnerten vorbei, ob mit oder ohne Anhänger. Die Fußgänger hatten Mühe, ohne Schaden an Leib und Leben den Zebrastreifen zu überqueren. Und warum hat sich dieses Landstädtchen, das allerdings für seine schwarze Gesinnung bekannt ist, in solch ein Chaos verwandelt? Weil sich am Rande die Industrieanlagen und die dazugehörenden Häuser immer weiter in die Landschaft fressen. Bestimmte Wege, die wir immer gegangen sind, werden mit der Zeit unpassierbar. Das deutsche Wirtschaftswachstum ist ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen mehr gibt! Kürzlich habe ich noch von Inseln gesprochen, die aber immer schwerer und nur auf Kosten des immer dünner werdenden Nervenkostüms zu erreichen sind. Das Fahrrad ist keine Alternative, denn damit ist man der Aggressiviät der Autofahrer umso schutzloser ausgeliefert. Kürzlich las ich einen Bericht über die Charakterzüge der SUV-Fahrer. Je kleiner der Mensch, desto größer das Auto. Tatsächlich sahen wir einmal aus einem Porsche einen wirklich unscheinbaren Zwerg steigen. Männer täten gern zeigen, dass sie Geld haben, Frauen fühlen sich in so einem -als Geländewagen untauglichen Spritfresser - angeblich sicherer. Und alle denken, dass bei einem Unfall der andere den Kürzeren zieht.

Ich traue mich fast nicht zuzugeben, dass wir am Sonntag noch einmal versucht haben, ein abgeschiedenes Klosterdorf in Bayern zu erreichen. Diesmal nicht Ottobeuren, sondern Waldsassen unweit Bayreuth. Es ging auch zügig voran, keine Lastwagen am Sonntag, bis irgendwann auf der Frankenhöhe aus jeder Ecke ein Fahrzeug geschossen kam. Mit Müh und Not kamen wir bis Forchheim, wo mein Bruder geboren wurde und ich als Kind einige Zeit verbracht habe. Vor etwa zehn, fünfzehn Jahren waren wir schon einmal hier. Da standen wir plötzlich mitten auf einem hübschen fränkischen Marktplatz. An diesem Tag sahen wir eine riesige Industriestadt volle neuer Straßen und Unmengen von Autos. Im nächsten Ort (der gehörte schon zur fränkischen Schweiz) hörte der Tag dann auf, noch im geringsten lustig oder erholsam zu sein. Auf der Kreuzung knatterten derartig viele Motorräder und PKWs vorbei, dass es in den Ohren klingelte. Die Bedienung des Lokals, in das wir dann auf ein Getränk einkehrten, guckte mürrisch, und drei Gäste erzählten uns, dass heute in Nürnberg, Erlangen (auch eine Kindheitsstadt von mir) und sonstwo ein verkaufsoffener Sonntag sei. Daraufhin besichtigten wir nicht einmal mehr die uralte Wehrkirche und nahmen auch Abstand von einer Übernachtung. Es ging auf dem schnellsten Weg zurück nach Hause. Es geht also nicht nur bei uns, in der Nähe von Daimler-Benz oder Stuttgarts Wiesenfesten so zu, sonder ÜBERALL. Wäre nicht die wunderbare Wirtschaft zum Lamm in Rot am See gewesen, hätten wir den Ausflug gänzlich unter peinliche Verluste abhaken müssen. Für das Lamm kann ich gerne Werbung machen, denn dort wird der beste und zarteste Sauerbraten serviert, den ich je genossen habe. Mitsamt den Semmelknödeln, die irgendwelche Grieben in sich hatten (Knödel esse ich sonst immer nur zur Hälfte) war die Platte hinterher total geputzt.

Aber es gibt noch Alternativen, dort, wo keine Industrie angesiedelt ist, wo keine Autobahnen in der Nähe sind und das Leben nicht stillsteht, aber auf die Bedürfnisse der Menschen Rücksicht nimmt. Es ist eine kleine Stadt auf der schwäbischen Alb, in der wir früher öfter kurze oder längere Urlaube gemacht haben. In der Nähe gibt es Höhlen, Burgen und eine riesige Wacholderheide, auf der so spät im Jahr noch der Deutsche Enzian und der Fransenenzian zu finden waren. Mt drei Ehepaaren führten wir dort am Freitag Gespräche und konnten feststellen, dass es noch andere gibt, die so denken wir wir. In dem Städtchen kann man auch ein Blockhaus in einem Feriendorf mieten, und es gibt in der Nähe mehrere Klöster, zum Beispiel Obermarchtal. Das in Untermarchtal wurde zwar in ein Seniorenheim umgewandelt, aber dort leben die Bewohner und Schwestern völlig mit sich und der Welt im Einklang. Sollte man vielleicht in ein Kloster gehen, sind früher die Leute dorthingegangen, weil sie den Lärm und die Umtriebe der Welt nicht mehr ertrugen? Das nun nicht gerade, aber man sollte solche Plätze sammeln und vor der Welt bewahren. Dorthin gehen keine Menschen, die an Merkels Wirtschaftswunderland glauben, weil vergleichsweise nichts los ist. Dorthin geht derenige, der weiß, dass wir mit der Zerstörung der Natur nur uns selber das Wasser abgraben. Wie ich überhaupt darauf gekommen bin, noch einmal in diese schwäbische Stadt zu gehen? Ich hatte einen Krimi gelesen, der dort spielte. Die Krimihandlung eher etwas naiv, aber sehr schön in den Beschreibungen. Solche Krimis brauche ich nicht zu schreiben, um zur Ruhe zu kommen. Aber irgendwann sollte man vielleicht damit anfangen, über die verlorenen Paradiese zu berichten, damit ein paar Leute, die schon resigniert haben, wieder Lust darauf bekommen.

Deutscher oder bayerischer Enzian
Wacholderheide auf der schwäbischen Alb