Sonntag, 1. Oktober 2017

Augenblicke im Taubertal

Am vorletzten Wochenende packte uns mal wieder die Reiselust. Im Fränkischen, das heißt in den Tälern der Tauber, der Jagst und des Kochers, hatten wir bisher die besten Erfahrungen gemacht. Erst letztes Jahr verbrachten wir eine lustige Nacht unterhalb der alten Türme und Tore von Rothenburg ob der Tauber, in Detwang mit seiner uralten Kirche, dem ältesten Teil der Stadt, mit einem Kreuzigungs-Reatabel von Tilman Riemenschneider. Also machten wir uns hoffnungsfroh auf den Weg. Der endete leider abrupt im Herzen von Stuttgart, wo am Vortag das Fass zum Cannstatter Wasen angestochen worden war. Ummengen von Autos und Fußgängern, teilweise in Dirndl und Lederhosen, versperrten den Weg. Es war nirgendwo mehr in dieser Metropole ein Schlupfloch zu entdecken. Mit zwei Stunden Verspätung trafen wir im Jagsttal ein. Eine Kaffeepause in Jagsthausen, ein kurzer Gang zum Schloss des Ritters von Berlichingen, dann ging es weiter.

Ziemlich erschöpt erreichten wir Detwang und mieteten uns ein. Beim Abendessen eine nette Unterhaltung mit einem reisenden Rentnerpaar inlusive fränkischem Sauerbraten. Danach saß eine amerikanische Familie an unserem Tisch. Was für ein Unterschied zur vorher gesehenen Dirnd-, Haxen und Maßbierkultur! Man konnte richtig sehen, wie sie die deutsche Kürbissuppe und den Braten genossen. Da um neun schon die Stühle hochgeklappt wurden, fuhren wir noch ins nahe Rothenburg hinauf. Das ist in der Nacht tatsächlich ein einmaliges Erlebnis.
Rothenburg bei Nacht
Drei Nachtwächter schritten eilig an uns vorbei, die Hellebarden geschultert. Später sahen wir dann einen von ihnen vor einem Bild in einer Toreinfahrt stehen, etwa zwölf Gäste darum herum. Der nächste eilte einem Pulk von Hunderten von Touristen voraus, man hörte wieder viele amerikanische Sprachfetzen. "Very much people her", sagte mein Begleiter. "Too many people!", kam es von einem Gast zurück. Nahe der Jakobskirche war ein Biergarten geöffnet, die Nacht war wunderschön, doch die Kellner waren so gestresst, dass die Stühle flogen.

Unser Fazit war, dass Kulturtouristen angenehmer sind als solche auf dem Oktoberfest, dem Wasen oder an den Stränden von Mallorca. Gegen Letztere wird ja schon demonstriert. Es gibt immer wieder schöne und nachhaltige Augenblicke, die man erleben kann. Doch das Hinkommen und Zurückfahren ist nach wie vor stressbeladen. Zuhause bleiben ist eine Alternative, und außer solchen Augenblicken findet man nicht viel Neues unterwegs. Aber wir haben schon Leute erlebt, die in den schönsten Gegenden und Städten wohnten und sagten: Jeden Tag das Schöne wird Alltag, man muss auch immer mal wieder die Tapeten wechseln. Als wir zurückkamen, hatte Deutschland gewählt, und es ging ein Ruck durch die Lande. (Selbstverständlich hatte ich vorher schon meine Briefwahlunterlagen abgegeben).