Samstag, 8. Oktober 2016

Im Oktober

Der Oktober war in diesem Jahr ein Einschnitt. Nicht nur, was den Abschied vom Sommer und den Hinauswurf ins Kalte, Trübe betrifft. Am letzten Wochenende besuchte ich das Autorentreffen in Oberursel und war so angetan und inspiriert wie lange nicht mehr. Aber es war nicht nur ein Kokon, der alle eingehüllt hätte, sondern öffnete auch manches Auge für die Situation der Autoren in dieser Zeit. In Frankfurt Hauptbahnhof kehrte die Realität mit aller Macht zurück: Die Live-Festnahme zweier Männer in einem Zug mitsamt Koffer, ein Terroralarm mit schwerbewaffneten Polizisten. Und die Kälte wurde immer unerbittlicher. Jetzt liege ich seit Tagen mit einer schweren Erkältung darnieder, umgeben von Tees, Unmengen von Papiertaschentüchern, Büchern und Kreuzworträtseln. Auf der Suche nach Oktobergedichten habe ich eins von Erich Kästner gefunden, den ich bisher mehr mit "Emil und die Detektive", "Pünktchen und Anton" usw. identifiziert habe. Spricht für diese Stimmung und gefällt mir sehr gut!


Der Oktober 

Fröstelnd geht die Zeit spazieren.
Was vorüber schien, beginnt.
Chrysanthemen blühn und frieren.
Fröstelnd geht die Zeit spazieren.
Und du folgst ihr wie ein Kind.

Geh nur weiter, bleib nicht stehen.
Kehr nicht um, als sei's zuviel.
Bis ans Ende musst du gehen,
hadre nicht in den Alleen.
Ist der Weg denn schuld am Ziel?

Geh nicht wie mit fremden Füßen
und als hättst du dich verirrt.
Willst du nicht die Rosen grüßen?
Lass den Herbst nicht dafür büßen,
dass es Winter werden wird.

Auf den Wegen, in den Wiesen
leuchten, wie auf grünen Fliesen,
Bäume bunt und blumenschön.
Sind's Buketts für sanfte Riesen?
Geh nur weiter, bleib nicht stehn.

Blätter tanzen sterbensheiter
ihre letzten Menuetts.
Folge folgsam dem Begleiter.
Bleib nicht stehen. Geh nur weiter,
denn das Jahr ist dein Gesetz.

Nebel zaubern in der Lichtung
eine Welt des Ungefährs.
Raum wird Traum. Und Rausch wird Dichtung.
Folg der Zeit. Sie weiß die Richtung.
"Stirb und werde!" nannte Er's.

Erich Kästner, 1899-1974