Samstag, 12. Dezember 2015

Oasen

Gestern Abend wollte ich einen neuen Artikel verfassen. Er sollte von den Veränderungen handeln, die sich bei einem Individuum aufgrund der allgemeinen Schieflage der Welt und des einzenen Lebens ergeben können. Vorher schaute ich noch auf einem meiner Lieblingsblogs vorbei und sah: Da hatte jemand schon genau über dieses Thema geschrieben! Petra van Cronenburg schreibt eine Vorweihnachtsserie über Mehr Licht - "Reset" für die Welt. Anlässlich eines Computercrashs und Ausfall fast sämtlicher digitaler und analoger Kommunikatiosmöglichkeiten kommt sie zu dem Schluss, dass es der gesamten Welt gut tun würde, ab und zu mal auf einen solchen Resetknopf zu drücken. Und auch zu anderen bemerkenswerten Schlüssen, die es wert sind, nicht nur einmal gelesen zu werden. Jetzt frage ich mich, worüber ich selbst eigentlich schreiben wollte. Ja, über Veränderungen bei sich selbst, wenn man den höchst besorgniserregenden Zustand der Welt schon nicht ändern kann.Unlängst sah ich - nicht zum ersten Mal - einen Film über eine Stadt aus tausendundeiner Nacht: Marrakesch. Die Bilder dieser Landschaft und der Oase drum herum haben mich so in den Bann geschlagen, dass sie mich nicht mehr losließen. Es begann auf dem Suk, wo die Berichterstatterin Gewürze probierte, rote, gelbe, braune, ockerfarbene, Ingwer und Kardamom, Kreuzkümmel, Kurkuma und Chili, Anis und Gewürznelken, Muskatnuss, Safran und Zimt, um nur einige zu nennen. Sie fuhren mit einem Ballon über die Landschaft, hinter dem Atlasgebirge erstreckte sich die unendliche Wüste, sie besuchten prächtige Paläste, ahlten sich in luxuriösen Bädern und ruhten sich in schattigen Innenhöfen zwischen Palmen, Oleander und  Orangenbäumen aus. Dann ging es natürlich ans Essen, und das war der Hammer für mich. Ein simpler Hühnerschenkel wurde in eine Tajine gesteckt, dann immer wieder mit Arganöl beträufelt (das ist eine Nuss, die nur in Marokko vorkommt), Zitrone dazu, Zwiebeln, Knoblauch und verschiedenste Gewürze, darunter frische Kräuter wie Koriander Petersilie und Rosmarin. Was nachher herauskam, war eine duftende Köstlichkeit, die mich auf der Stelle dazu verführte, das auch probieren zu wollen. Schon am nächsten Tag machte ich es wahr, und tatsächlich, es schmeckte auch so, wie es ausgesehen hatte! Und schon war der Wunsch geboren, dort einmal hinfahren zu wollen, sofern die Reisewege es zulassen würden. Wie kann man mit Nationen, die solche Kunstwerke vollbringen, die unsere Kultur über Jahrhunderte hindurch so sehr bereichert haben, verfeindet sein und Kriege mit ihnen führen?

Es ist etwas hängen geblieben von diesen sensorischen Erlebnissen.  Die digitale Vernetzung ist auch aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken, aber ich habe jetzt meinen keinen Resetknopf, auf den ich immer drücken kann, wenn mich die Ereignisse fortzuschwemmen drohen. Ich kann Zeitung lesen, anstatt immer nur in die viereckigen Kästen zu starren. Ich kann einen kleinen Markt in der Nähe besuchen, mit einem Gemüsestand, einem Käsewagen, eine Wursttheke und einer Bäckerei, kann etwas kaufen, das es in den Supermärkten so gar nicht mehr gibt wie Grünkohl, Steckrüben, einen riesigen Bund Karotten und Kartoffeln, an denen noch die Erde klebt. Ich kann mich fernhalten von den Massenströmen, kann in Sonne und Nebel spazierengehen auf den Höhen und in den Tälern, kann mit Menschen sprechen, habe ein halbes Dutzend Weihnachtskarten gekauft, die ich auch noch beschriften werde, ganz ungewohnt nach den digitalen Klicks der letzten Jahre, und ich kann
vor allem eins: mit allen Sinnen in der Welt sein. Den Titel habe ich jetzt in "Oasen" geändert.