Freitag, 3. April 2015

Psychische Krankheit und Mord

Nachdem der Hergang des schrecklichen Flugzeugabsturzes nun durch die französische und die deutsche Staatsanwaltschaft -nach Auffinden der zweiten Blackbox - weiter geklärt scheint, bleiben dennoch viele Fragen offen, insbesondere die sensible Frage nach der Art der psychischen Erkrankung des Copiloten. Prof. Dr. Asmus Finzen, Arzt, Professor für Sozialpsychiatrie und Wissenschafts-Publizist, zuletzt tätig an der psychiatrischen Unviversitätsklinik Basel, hat dazu einen sehr behutsamen, aber nichtsdestoweniger treffenden Artikel in der FAZ vom 30. März 2015 geschrieben. Ich selbst lernte Prof. Dr. Finzen bei Seminaren in Tübingen kennen und absolvierte bei ihm auch meine Prüfung im Fach Sozialpsychiatrie.
Depressionen machen keinen Massenmörder.

Kurz zusammengefasst: Jeder zehnte Mensch erkrankt in seinem Leben an einer Depression. Nach der Vorstellung von Psychiatern werden Gewalttaten von Depressiven nur halb so oft begangen wie von "normalen" Personen. Depressive sind eher ängstlich, zurückgezogen, schuldbewusst und in der Regel  autoagressiv statt fremdagressiv. Psychosen werden von der Umgebung meist schnell erkannt und lassen sich auch vor Kollegen und Angehörigen nicht verbergen. Bei diesen Störungen steht der Realitätsverlust im Vordergrund und lässt die Betroffenen nicht planvoll handeln, wie es in diesem Fall offensichtlich der Fall war. Eine bipolare Störung sehe ich, entgegen den Berichten des Spiegel, nicht, weil ich keine manischen und tief depressiven Episoden erkenne. Dagegen gibt es, wie ich in einem Artikel der Zeitschrift "Psychologie heute" von 2012 las, so genannte "maligne Persönlichkeitsstörungen". Personen, die ein solches Syndrom entwickeln, sind nicht in der Lage, Empathie für andere zu entwickeln, also sich in sie einzufühlen. Der Autor zählt Personen wie Saddam Hussein, Josef Stalin und Adolf Hitler zu ihnen. "Maligne und antisoziale Persönlichkeiten" sind differentialdiagnostisch das, was man früher als "Soziopathen" bezeichnete. Solche Störungen lägen dem Handeln vieler Serienmörder zugrunde. Der Massenmörder Anders Behring Breivik, der im Sommer 2011 77 Menschen in Olso und auf der Insel Utøya ermordete, wurde zunächst von den psychiatrischen Gutachtern als "paranoid schizophren" eingestuft. Das Gutachten wurde von kompetenter Seite angefochten und in ein anderes verwandelt, nämlich in die Diagnose "narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstörung". Gestern äußerte ein Psychologe im Fernsehen, dass es bei solchen Taten wie in den französischen Alpen um Menschen handeln könnte, denen es um Macht geht, die Gott spielen und Herren über Leben und Tod sein wollen. Und möglicherweise den krankhaft übersteigerten Wunsch haben, beachtet, von der ganzen Welt gesehen und erkannt zu werden, wenn auch auf außerordentlich destruktive Weise. Jeder wird jetzt sagen, dass die Genauigkeit einer Diagnose nicht das geringste an dem ändert, was unwiederbringlich geschehen ist. Sie wird kein Leid eines Betroffenen verringern. Da sich aber, dieser festen Überzeugung ist Prof Dr. Finzen und dieser Überzeugung bin auch ich, die Vorurteile gegenüber psychisch Kranken weiter verstärken werden, ist es umso dringlicher, die Öffentlichkeit aufzuklären und die Diskussion zu versachlichen, anstatt sie zu verharmlosen oder gar zu verdrängen. Im Großen und Ganzen nämlich sind psychisch Kranke für andere weit weniger gefährlich als die sogenannten Normalen, die mal eben jemanden auf der Autobahn abdrängen und dessen Tod riskieren.