Freitag, 19. September 2014

Mein Weg zur Romantik

In den letzten Tagen habe ich etwas festgestellt, das ich eigentlich schon immer gewusst habe, was aber im allgemeinen Lebensaufundab wieder verschwand. Ich bin und bleibe eine hoffnungslose Romantikerin. Wie kam es dazu, an welchem Punkt meines Lebens wurde die Weiche gestellt, und wer hat das veranlasst? In der Schule haben wir einst viele Klassiker gelesen. An einige, aber besonders an eine Schrift erinnere ich mich heute noch sehr gut. Es waren "Die Nachtwachen des Bonaventura". In meinem Langzeitgedächtnis sind ein paar Fetzen davon vorhanden geblieben: ein Sturm, der oben in den Lüften zu brausen beginnt, Wolken, die am Mond vorbei über den Himmel jagen, ein Nachtwächter, der umhergeht und auf die absurdesten Gedanken kommt, eine Braut in weißem Tüllkleid, bei deren Anblick der Betrachter an Sarg, süße Blumendüfte und Beerdigung denkt, ein Ansatz, der alles ad absurdum führt. Unser Lehrer hatte uns das Buch als Beispiel für "den Nihilismus in der Romantik" nahegebracht, nachdem wir alle Schelmenromane von Grimmelshausens "Simplicissimus" über den "Taugenichts" von Joseph Eichendorf bis Thomas Manns "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" durchgenommen hatten. Es muss mich tief beeindruckt haben, denn zwei meiner ersten Geschichten, die ich geschrieben habe, vermitteln dieses schaurig-romantische Ambiente. Aus Neugier habe ich jetzt mal geschaut, was seitdem mit diesem Werk in der Bücherwelt passiert ist und wer oder was eigentlich dahintersteckt. Und habe es auch prompt bei Amazon gefunden, mit Neuausgaben, Rezensionen, Verkaufsrängen usw. Jetzt konnte ich also noch ein wenig darüber erfahren, dass es zum Beispiel Clemens Brentano, Caroline Schelling oder E.T.A. Hoffmann zugeschrieben wurde. In Wirklichkeit steckte ein Theaterdirektor namens August Klingemann (1777-1831) dahinter. Sein Stil soll sogar den von Dostojewski beinflusst haben.

Dieses Werk beeindruckte mich im zarten Jugendalter tatsächlich so stark, dass mein erster Roman ein biografischer über den spätromantischen Dichter Eduard Mörike (1804-1875) wurde. Über Grimmelshausen kam ich ins siebzehnte Jahrhundert, machteAusflüge ins fünfzehnte und sechzehnte sowie in die Jetztzeit, bis ich nun wieder im Kern der Romantik gelandet bin, nämlich im Jahr 1786. (Die romantische Phase reichte etwa von 1777-1831). Und ich schlage mich mit allen romantischen Begriffen und Zuständen herum, die um jene Zeit prägend waren: Gespenster, Séancen, Geisterseher, Geheimgesellschaften, Willkür der absolutistischen Herrscher, Studenten im Karzer, Dichter in dunklen Verliesen, letzte Wölfe, die in den Wäldern gejagt wurden, Räuberbanden, Vorboten der französischen Revolution, fahrende Händler und Kräutermixer, Kesselflicker, Zahnbrecher und Nachtwächter, die nicht nur die Stunden ausriefen, sondern auch in viele dunkle Ecken und Abgründe schauten. Insofern ist diese Romantik für mich nicht nur ein Eskapismus, eine ideelle Flucht aus den desillusionierenden Zeiten, sondern auch eine Strömung, die sich mit den menschlichen Abgründen befasst hat. Und irgendwie scheine ich dieser Richtung verpflichtet zu bleiben, sei es im historischen Roman, im Kriminalroman oder im Sachbuch. Ein sehr gutes Buch über die Romantik hat übrigens Rüdiger Safranski geschrieben: Romantik. Eine deutsche Affäre.