Montag, 17. Oktober 2011

Goethes Frankfurt und die Skyline

 Wenn man aus der Provinz, aus dem Schwarzwald, nach Frankfurt reist, kann man eine Menge erleben! Schon die Anfahrt ist wahrhaft abenteuerlich. Mit Sicherheit sitzt immer jemand in der Nähe, der nicht nur plötzlich "Hallo" sagt, so dass man sich gemeint fühlt, sondern der stundenlang laut mit einem unsichtbaren Gegenüber quatscht. Man guckt dann ständig, ob das Gegenüber auch antwortet und merkt dann, dass irgend eine Lebensgeschichte oder sonstwas erzählt wird, damit man sich die Bahnfahrt nicht mit einem Buch vertreiben muss, das man ja auch erst kaufen müsste.Nur da, wo ausdrücklich ein Symbol für Handyverbot an der Glastür hängt, lesen die Leute Bücher und Zeitungen. Da ist es am angenehmsten. Meine Schwester hat die Konsequenzen schon gezogen, auch wegen der Verspätungen, und reist von Hamburg mit dem Flugzeug an. Und dafür will die Bahn demnächst die Preise wieder erhöhen!Aber auch das Fiegen hat inzwischen seine Tücken. Heutzutage muss man sogar seine Salbentöpfchen in Plastikbeutel legen, es könnte ja eine Bombe darin versteckt sein! So reist man nun in die Großstadt Frankfurt rein, wie immer am Schluss ganz langsam und lange, denn es ist ein Kopfbahnhof wie in Stuttgart. (Dort gibt es auch kein "Frankfurt 21", dafür wird der Flughafen so riesenhaft ausgebaut -der größte Europas-dass man fast eine Stunde braucht, um zu den Gates zu kommen.) Jetzt sind wir da, im Ostend nahe des Mains und des Zentrums, das Wetter ist kühl, aber traumhaft. Abends noch kurz in die Havanna-Bar um die Ecke, am nächsten Morgen auf die Zeil und zum Markt. Hier ticken die Uhren schneller, Massen von Menschen und großen Geschäften. Und der Markt ist dann plötzlich wieder eine Oase, in der man Butter, Eier, Fleisch, Wurst und Gemüse einzeln kauft, sein Mittagessen einnimmt und sein Glas Wein schlürft.


Handkäs mit Musik

Hauptwache

Frankfurter Literaturhaus am Main
Der eiserne Steg, von uns oft tags und nachts begangen, hinüber zum Museumsufer und ins Vergnügungsvietel Sachsenhausen
 In Sachsenhausen findet jeder etwas nach seinem Geschmack, es wimmelt von Touristen aus aller Welt. Hier kann man auch wieder die beliebten Jungesellenabschiede beobachten, inzwischen sind es Jungesellinnen mit Vampirohren und Pappnasen. Man kann zum Beispiel im "Buenos Aires" dicke argentinische Steaks oder Kalbsrippen essen, mit Salsa rossa oder verde. Danach locken die Kneipen mit Sex-Drinks. Brr! Wir landeten in einem Hexenhaus, da spielte die 80er Jahre-Schlagermusik, jeder kannte jeden. Früher gab es hier ein Rockcafé, in dem, für einen Aufschlag bei den Getränken, Nachwuchsband auftraten. Das gibt es jetzt nicht mehr, es ist ein Jazzclub daraus geworden. Dafür gibt es aber das "Balalaika", wo nicht etwa Balalaika gespielt wird, sondern in einer ganz normalen, gemütlichen Kneipe jeder, der musikmäßig etwas aufzuweisen hat, sich präsentieren kann. Das war einmalig! Eine ältere, farbige Jazzsängerin aus New York, ein Typ mit Lederhut, der wie Tom Ripley wirkte, ein großer pferdebeschwanzter Mann mit roséfarbenem Jackett und blauen Hosen, der sah aus wie der junge Schiller, und noch ein scharfprofiliger, künstlerisch anmutender Junge legten einen Abend hin, der die Leute nur noch verzückt mit Armen und Beinen wippen ließ-Klavier und Gitarren.





 Am nächsten Tag ging es den Mainkai hinunter bis ins "Nizza". Früher lagen hier noch die Obdachlosen herum, die mich zu einer Geschichte über das "Grundrauschen der Zivilisation" inspirierten. Heute sind die in den Bahnhöfen, trinken Espresso und tun so, als ob sie gleich weiterreisen würden. Ganz Frankfurt war an diesem sonnigen Sonntag unterwegs. Man sieht keine Nordish-Walking-Stöcke mehr wie weiland an der Alster in Hamburg, sondern man joggt, fährt Rad oder neuerdings auf diesen Stadtrutschern, die einem mit 20 Km/h die mühselige Laufarbeit ersparen.

Café im "Nizza"
Cityrutscher

Die alte Brücke, die schon Goethe bedichtete
 Wenn man sich nun die Füße müde gelaufen hat, ist es sehr entspannend und touristisch wirksam, wenn man eine Schifffahrt auf dem Main unternimmt. Goehte pries den Blick von der alten Brücke, nur war damals noch nichts von der Skyline zu sehen, die übrigens ihren besonderen Reiz hat. Dort steckt das Geld, das gerade so in der Krise ist, es wird mit Stahl, Glas und Beton zusammengehalten.

Gerbermühle

Man sieht den Dom und die Spitze der Paulskirche vom Wasser aus (kenne ich natürlich, schließlich war Ludwig Uhland an der 1848er Revolution beteiligt.) Neu war mir die Die Gerbermühle, die Goethes Freund Willemer 1785 als Sommerhaus gekauft hatte-auch ein Bankier. Hier begegnete Goethe dessen Ziehtochter Marianne, entwickelte eine intensive platonische Beziehung zu ihr, hielt sich häufig dort auf und nahm drei Gedichte von ihr in den west-östlichen Diwan auf. Geheiratet hat Marianne aber ihren Ziehvater und nicht den 66jährigen Goethe.


 Doch irgendwann ist die Zeit dann auch wieder vorbei. Auf dem Hauptbahnhof, Gleis 6, sollte eigentlich der ICE nach Zürich abfahren. Dies ist der Regionalzug nach Wiesbaden, denn der ICE kam wieder mal mit einer halben Stunde Verspätung-Anschluss Karlsruhe.Pforzheim konntest deswegen vergessen.


Aber endlich war er da, und es gab merkwürdigerweise keine Handys, auch keinerlei E-Books, sondern gedämpfte Gespräche und Bücher. Französische Kinder spielten Karten. Ja, so macht Zugfahren noch halbwegs Spaß!

In Karlsruhe stürmten so viele Menschen die Treppen von den Ferngleisen herunter und durch die Gänge, dass ich erst mal nach draußen flüchtete. Ob die wohl alle von der Frankfurter Buchmesse kamen? Zumindest hatten sie keine Bierflaschen in der Hand! Die halbe Stunde Aufenthalt erinnerte mich daran, dass ich mal in die Bahnhofsbuchhandlungen gucken wollte, um mir zu beweisen, dass ich ja auch was geschrieben hatte (was mir in den vollen Zügen nie richtig gelang).
Und tatsächlich, da lachte es mir auch schon entgegen, in einer Vertikalen mit Rebecca Gablé und Ken Follet. Solche Momente machen immer Lust zum Weiterschreiben! Vielleicht sollte ich das Angebot annehmen, zum nächsten Familientreff in Hamburg-Schanzenviertel zu fliegen und dabei gleich das Auswanderermuseum anzuschauen. Derweil bin ich wieder im Schwarzwald und kann den hiesigen Plot weiterentwickeln, wann immer ich will.