Montag, 27. Dezember 2010

Was wirklich wichtig ist

Bei Heinrich fand ich die Frage nach dem Begriff "Zwischen den Tagen", was für mich neu ist, denn für mich war es immer die Zeit "Zwischen den Jahren". Damit war ursprünglich die Zeit zwischen der Wintersonnenwende und dem Erscheinungsfest, dem 6. Januar gemeint, auch die zwölf Rauhnächte. Das alles kann man schön bei Wikipedia nachlesen, dazu die Bräuche und was da so alles passieren kann, wenn zum Beispiel das Vieh in den Ställen anfängt zu reden, und dass man das Wetter der kommenden zwölf Monate anhand von gewissen Dingen voraussagen kann. Bei uns war es das Bleigießen an Silvester, das sich auch bei meinem Sohn als Renner herausstellte. Je nachdem, was man in die gegossenen Figuren hineininterpretiert, wird einem im nächsten Jahr widerfahren. Da fällt mir ein, dass ich mir die eigentlich mal wieder besorgen könnte, nachdem aus den Walnusschiffchen wegen Schnee, Eis und Kälte ja nun nichts geworden ist. "Zwischen den Jahren" war für mich immer eine Art Niemandsland, dunkel und kalt, aber mit Blick auf das Licht, das sich jeden Tag ein wenig mehr ausbreitet. Eine Zeit der Besinnung und des Kraftschöpfens für die nächste Runde.
Ich bin vorhin auf eine Diskussion im Netz gestoßen, die mich doch einigermaßen verblüfft hat. "Was ist wirklich wichtig im Leben?", wurde gefragt. Die Teilnehmer kamen zu dem Schluss, dass es nichts Materielles sei, sondern sich Ziele zu setzen, die innere Stille zu finden und sie auch zu bewahren. Einer meinte, er wisse nicht, wozu die Menschen auf der Welt seien, ein anderer, er bereue es, ein Mensch zu sein, wenn er so sehe, was sie mit der Welt anrichteten. Der amerikanische Soziologe Morrie Schwartz wurde zitiert. Er meinte, dass Liebe, Zuwendung und Vertrauen die wichtigsten Dinge im Leben seien. Aber sie nicht nur zu geben, sondern auch, sie zu erhalten, würde ich ergänzen. "Zwischen den Jahren" ist für mich also eine Zeit, die noch nicht ist, die zu Ende geht und etwas Neues bringt. Eine Zeit, in der man die großen Städte meiden sollte, weil man die Fehler des Weihnachtsfestes versucht zu korrigieren und damit schon wieder davonrennt. Sich gegenseitig im Wege steht. Es ist eine Zeit, zurückzublicken und gleichzeitig nach vorne zu sehen. Ich freue mich immer darauf und bin dann auch froh, wenn es wieder vorbei ist. Froh über die freie Zeit, die langsamer zu gehen scheint als sonst. Ich lese viel und überlege mir, wie sich das neue Jahr wohl aufs Schreiben auswirken wird. Schreiben ist ja auch eine Art der Kommunikation, der Zuwendung zu anderen und zu sich selbst, der Verdichtung des eigenen Lebens. Und so kann ich den Vers von Bert Brecht, der seit meinem 19. Lebensjahr Wahlspruch von mir ist, unverändert in das neue Jahr hinübernehmen:

Keinen verderben zu lassen,
auch nicht sich selber,
jeden mit Glück zu erfüllen,
auch sich, das ist gut.

Bert Brecht, Der gute Mensch von Sezuan