Montag, 1. Dezember 2008

Frag das Schreibteufelchen

Das Schreibteufelchen, mein Alter Ego, Kritiker und kreativer Hintergrund, hat sich lange nicht mehr blicken lassen. Es ist auch jetzt nirgends zu entdecken. Ich wollte es aber hinsichtlich meines weiteren Vorgehens befragen. Am Spiegel hängt, neben einer Pestarztmaske aus Venedig, ein Teufelskäppchen.
„Ja, schau nur in den Spiegel“, tönt es von meinem Bücherregal her. „Schau, was aus dir geworden ist.“ Ich schaue in den Spiegel. Ganz normal eigentlich, nur nicht mehr so überbordend vor Hoffnung und Selbstüberschätzung wie vor 4, 5 Jahren noch.
„Ich habe die Bedeutung des Schreibens aufs Normalmaß runtergeschraubt“, sage ich.
„Ach, wirklich? Warum siehst du dann so enttäuscht aus? Worin hast du dich getäuscht?“
„Ich habe mir das alles viel ... einfacher vorgestellt. Dachte, es würde mein Leben bereichern.“
„Und, hat es das nicht?“ Das Teufelchen schnaubt.
„Doch, schon, aber ich musste so oft warten, bis irgendeine Entscheidung gefallen war. Dabei ist Warten nun wirklich nicht meine Stärke.“
„Und, sonst noch was?“ Das Teufelchen rutscht von den blankgeputzten Büchern herab und
stolziert auf mich zu.
„Ich habe die Bücher kaum in den Buchhandlungen gesehen.“
„Das wolltest du doch auch gar nicht. Nach zwei Monaten sind die Bücher von den Stapeln verschwunden, das weiß doch inzwischen jeder Autor.“
„Aber ... na gut. Ich möchte einfach auch gelesen werden.“
„Die Buchhändler entscheiden, was für sie verkaufbar ist. Wer ist denn nun deiner Meinung nach Schuld?“ Das Teufelchen hat sich auf die Lehne des Sessels geschwungen und lässt seine dünnen, schwarzen Beine baumeln.
„Schuld ist eigentlich niemand“, antworte ich. „Es ist vielleicht in der Verlagswelt manches nicht so gut organisiert.“
„Und? Ist an deinem Arbeitsplatz alles gut organisiert?“ Es riecht schon ein wenig nach Schwefel, Zeichen dafür, dass es im Teufelchen brodelt.
„Nein, ist es nicht. Es ist ein Auf und Ab, wie überhaupt alles ein Auf und Ab ist.“
Aus den Nasenlöchern des Teufelchens beginnt Rauch zu entweichen.
„Worin hast du dich getäuscht?“ Die Frage kommt zischend.
„Ich habe mich darin getäuscht, dass der Buchmarkt ein Ort sei, an dem man das machen kann, was einem schon immer vorgeschwebt hat.“
„Ach, du meinst, du wolltest einen Bestseller schreiben, vielleicht noch einen Preis bekommen?“, donnert das Teufelchen. Es streckt den dünnen schwarzen Finger nach mir aus.
„Du allein trägst die Verantwortung für das, was du gemacht hast! Bist du nicht oft genug gewarnt worden, nicht zuletzt von mir?“
Ich rege mich jetzt ebenfalls auf. Ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen ist doch der Traum vieler Menschen. Man wird doch wohl noch träumen dürfen!
„Ja, viele Menschen träumen davon, ein Buch zu schreiben“, grinst das Teufelchen. „Und für viele kommt früher oder später das Erwachen. Dann wollen sie es hinschmeißen, und doch wieder nicht. So wie du. Warum bist du nur so unzufrieden? Du hast doch alles erreicht, was du wolltest!“
„Warum hast du mich nicht davor gewarnt?“, brülle ich es an. „Wenn ich gewusst hätte, wie schnell sich das Karussell dreht, wäre ich nicht aufgestiegen!“
Das Teufelchen schlägt einen Purzelbaum und lacht aus vollem Hals.
„Du wolltest Karussell fahren, warum hätte ich dich daran hindern sollen?“
Nachdem ich einige Zeit im Zimmer hin- und hergelaufen bin, habe ich mich etwas beruhigt.
„Vielleicht hätte ich nicht gerade in das Teufelsrad steigen müssen“, sage ich.
„Es macht immer wieder Spaß und Vergnügen, im Teufelsrad herumzufliegen“, kreischt das Teufelchen.
„Mir ist schwindlig!“
„Dann steig aus.“
„Da brech ich mir alle Knochen!“
„Dann warte, bis es anhält und steig ins Riesenrad. Da hast du wenigstens den Überblick.“
„Das ist mir zu langsam. Ich möchte schon Karussell fahren, nur nicht so schnell, mehr nach meinem eigenen Tempo. Aussteigen will ich nicht.“
„Was willst du dann?“
„Schreiben, was mir wichtig ist.“
„Und wenn es anderen nicht wichtig ist?“
„Dann bleibt es eben in der Schublade.“
„Wolltest du für die Schublade schreiben?“
„Natürlich nicht! Aber ich wollte eigentlich nicht nur über Frauen schreiben, die moralisch einwandfrei sind und nicht nur über das Mittelalter und die Neuzeit.“
„Glaubst du wirklich, du könntest dich in einen Mann hineinfühlen?“
„Hab ich doch schon getan. In einen Dichter.“
Das Teufelchen wird wieder ernst. „Ich glaube, dir fehlt noch eine gute Portion Eigenständigkeit. Weißt du, was ich meine?“
„Ja, ich sollte das tun und schreiben, was i c h für richtig halte.“
Das Teufelchen macht ein zufriedenes Gesicht.„Du bist auf dem richtigen Weg, hast den richtigen Verlag, einen guten Agenten und einen guten Lektor.“
„Du meinst, ich sollte meine Einstellung ändern? Die Gewichtung verschieben? Jeweils das tun, was gerade wichtig ist? Mich nicht so unter Druck setzen?“
„Du m u s s t ja nichts tun, was du nicht willst.“ Die spitzen Teufelszähnchen erscheinen in seinem Mund. Ja, ich sage „die spitzen“, auch wenn Adjektive häufig verpönt sind. Was, bitte, soll man sich denn unter „Teufelszähnchen“ vorstellen?
„Ich habe es so gewollt“, sage ich und gehe zur Tür, an der es geklingelt hat.
„Ach, könnten Sie in nächster Zeit das Schneeschippen übernehmen, bis mein Sohn wieder kommt?“, fragt die Vermieterin freundlich. „Ich habe was an der Bandscheibe.“
„Aber sicher. Hat es denn wieder geschneit? Der Winter ist viel zu früh gekommen dieses Jahr.“
„Und Sie können auch gern von den Tannenzweigen nehmen, für Ihre Rosen.“
Es fällt mir wie Schuppen von den Augen.
ES GIBT AUCH NOCH ETWAS ANDERES DA DRAUßEN. Der Wald hat viele Bäume.
Es gibt Rosen und Walnüsse, Verkehrsteilnehmer, Klienten, Kollegen, Autoren, Verlage, Menschen, die mir nahe sind. Warum muss das alles immer stehen und liegen bleiben, wenn eines in den Vordergrund tritt? Es muss eine Zeitlang in den Vordergrund treten, dann ist wieder ein anderer Bereich dran.
„Teufel auch“, denke ich mir, stehe auf, gehe zu ihm hinüber und drücke ihm einen Kuss aufs schwarze Mäulchen.