Sonntag, 4. Februar 2018

Herrschaftliche Zeiten

Es gibt Momente, in denen ich es außerordentlich begrüße, dass es das Internet gibt. Man kann Schulfreunde wiederfinden oder etwas über seine Ahnen erfahren. So ging es mir vor etwa einer Woche, als ich mit einer sehr liebenswerten und engagierten Frau telefonisch ins Gespräch kam (der Kontakt war über den Blog zustande gekommen). Sie und ihr Mann hatten vor langen Jahren von meinem Vater eine Villa in Reinbek (bei Hamburg) gekauft und sie sorgsam renoviert. Bis es so weit war, spielten sich allerdings noch jahrelange krimireife Handlungen mit dem Vormieter ab. Durch diesen Kontakt erfuhr ich nicht nur, dass wir in dasselbe Gymnasium in Flensburg gegangen sind, teilweise dieselben Lehrer hatten und in denselben Cafés und Kneipen in dieser Stadt saßen, sondern auch, dass mein Großvater Paul Lotz zusammen mit seinem Bruder noch ein weiteres Haus in Wentorf bei Reinbek besessen hatte. Jenes Haus nun wird von einer Frau bewohnt, die ein umfangreiches, bebildertes Buch über die herrschaftlichen Villen in Wentorf geschrieben hat. Das kam gestern bei mir an, und ich habe mich gleich auf die Suche nach der Wentorfer Villa gemacht und sie entdeckt. Mein Großonkel Eduard Lotz ist 1936, als der Boden zu heiß und zu braun wurde, nach Amerika ausgewandert, mein Großvater ließ sich in Bussum in Holland nieder. Er war immer ein kritischer Geist gewesen, las alle möglichen ausländischen Zeitungen und hinterließ uns eine umfangreiche Bibliothek. Darunter waren nicht nur schöne alte Gesamtausgaben von Shakespare und Goethe, sondern auch sämtliche Klassiker und das Werk meines Schriftstellervorfahren Georg Lotz (1784-1844), der Sir Walter Scott übersetzte, im Hamburger Salon mit Heinrich Heine verkehrte und historische Romane und Novellen schrieb, die in Venedig, in England und in Polen spielten. Bei Google Books habe ich eine Stelle gefunden, die belegt, wie sich die Hamburger Schriftsteller damals gefetzt und ihre Ergüsse um die Ohren gehauen haben.

Paul Lotz ermöglichte meinem Vater vor dem Krieg einen längeren Aufenthalt in der Hermann-Lietz-Schule Abbotsholme in England, die für ihre liberale Gesinnung und ihre ganzheitliche Erziehung bekannt war. Deshalb habe ich meinen Vater auch als einen lustigen, intelligenten, etwas kauzigen, aber durch und durch mutigen und tatkräftigen Menschen in Erinnerung. Sein Halbbruder Juan H. Kaae wanderte 1934 nach Argentinien aus, wo er als Verwalter einer Estancia tätig war. Sein Platz auf der Cap Arcona ist sogar noch auf der Passagierliste zu finden. Im Jahr 1969 besuchte ich ihn, meine Tante und meine Cousine dort. Auf einer Reise in den Norden musste ich feststellen, dass es im Urwald von Misiones urdeutsche Dörfer gab und dass noch viel von den nationalsozialistischen Emigranten zu spüren war. Auch heute noch wird das Oktoberfest deutscher als bei den Deutschen in Villa General Belgrano in Cordoba gefeiert. Der Hang zur Schriftstellerei mag sich über die Generationen auf mich übertragen haben.

Das Haus in Reinbek