Samstag, 14. August 2010

Stunden im Garten


Gestern Nachmittag und Abend habe ich den Computer kalt gelassen und Stunden im Garten verbracht, aber nicht etwa, um die Früchte meiner gärtnerischen oder schreiberischen Arbeit zu genießen, sondern um das zu beseitigen, abzuschneiden und auszureißen, was mir während der vergangenen Traumzeit aufgeschossen war. Es war, als wäre ich wieder geerdet. Dazu fiel mir ein Text von Wahlafried Strabo ein, der im 9. Jahrhundert auf der Reichenau Gartenbau betrieb-und dichtete.


Wenn dann reinere Lüfte die heiteren Tage eröffnen,
Kräuter und Blumen, vom Zephyr geweckt, ihre schüchternen Triebe
Aus den Wurzeln senden zum Licht, die im finsteren Schoße
Lang sich verbargen, scheuend und hassend die eisigen Fröste,
Wenn die Wälder mit Laub und die Berge mit üppigen Kräutern,
Lachende Wiesen schon grünen mit Gras, eine Weide der Augen,
Dann haben Nesseln den Raum überwuchert, der vor meiner Türe
östlich zur Sonne sich wendet als Garten auf offenem Vorplatz,
Und auf den Flächen des Feldchens ist übles Unkraut gewachsen,
Pfeilen vergleichbar, verderblich bestrichen mit ätzendem Gifte.
Wie dem zu wehren? So dicht war durch unten verkettete Wurzeln
Alles verwachsen, gleichwie im Stalle der Wärter ein grünes
Flechtwerk verfertigt, kunstvoll gewirket aus biegsamen Ruten,
Wenn die Hufe des Pferds in gestaueter Feuchtigkeit leiden,
Weich und morsch wird der Hornschuh, den schwammigen Pilzen vergleichbar.


Ob der auch schon diese verfluchten Quecken im Kompost hatte?
Das Unkraut ist das, was die Gedanken überwuchert. Was Texte überwuchert. Von Zeit zu Zeit muss ich zurück aus den schreiberischen Gefilden, um den Garten klar vor mir zu sehen. So muss er sein, und die Lücken kann ich nach und nach mit neuen Pflanzen füllen. So kam ich auch mit einer Nachbarin ins Gespräch. Ja, sie wolle an den Bodensee fahren, mit einer Gesellschaft, nach Konstanz. Was, ich hätte Bücher geschrieben? Dann sei ich ja eine Schriftstellerin. Bin ich das wirklich? Auf jeden Fall erzählte ich ihr von dem Kalender, der jetzt erscheinen würde, und sie meinte, der wäre sicher auch für gärtnernde Nachbarn interessant. Eine Schriftstellerin bin ich eigentlich nicht, eher eine Roman-und Sachbuchautorin.
Was ist das, diese Traumzeit? Während ich schreibe, bin ich ganz in einer anderen Welt, während neben mir das Leben weitergeht. Dabei versäume ich nicht viel, denn die Traumzeit hat ja ihr eigenes Leben. Aber es ist wichtig für mich, immer wieder zu erwachen, zu schauen, was passiert ist, was weiter geschieht, Traum und Realität in Einklang zu bringen, das Schreiben zu erden und mich mit der Welt und den Menschen, wie sie sind, auseinanderzusetzen.