Mittwoch, 31. Dezember 2008

Ausblick 2009

In meiner Nachbarschaft sind ja schon ausführliche Analysen gemacht worden, was die Entwicklung in der Verlagslandschaft und der weltweiten Krisen betrifft.
Ich selbst kann es nur schlaglichtartig beleuchten, so, wie es sich mir im Vorbeigehen darstellt. In der Buchhandlung liegen schon wochenlang die Eragon-Bücher stapelweise am Ausgang. Fantasy, historische Romane, Krimis und Freche-Frauen-Bücher sind am meisten ins Blickfeld gerückt. Ob ich mal ewtas anderes schreiben möchte? Momentan nicht, historische Romane (und Maler-oder Schriftsteller-, Dichterbiografien) sind immer noch das, was ich am liebsten lese, schreibe oder als Film anschaue.

Hier mein Eindruck, natürlich verkürzt und subjektiv: Ein Verlag verschenkt 17 historische Romane als Ebooks. In seiner Umfrage im September des Jahres kam Quo Vadis u.a. zu dem Ergebnis, dass Geschlecht und Epoche nicht so wesentlich seien, mit deutlicher Bevorzugung von MA und Renaissance. Detailgenauigkeit bei den historischen Fakten, die Geschichte einer historischen oder fiktiven Persönlichkeit vor dem Hintergrund einer Epoche, und das Wichtigste:
Spannende Unterhaltung. Der Autor darf alles, nur nicht den Leser langweilen. Dem stimme ich als Leserin zu.

Das heißt für mich: Neben den vielfältigen Aufgaben, die insgesamt im Jahr 2009 auf mich warten, möchte ich weiterhin meine Themen so bearbeiten, dass ich mich damit wohlfühlen kann. Mein einziger guter Vorsatz ist, mehr Ausgeglichenheit in die verschiedenen Bereiche zu bringen, das betrifft: Arbeit, Schreiben, Beziehung, Freizeit, reale Kontakte, eigenes Befinden.

Meinen Lesern wünsche ich ein entspanntes neues Jahr 2009 mit der Erfüllung aller Wünsche, die sich im alten Jahr noch nicht realisieren ließen.

Samstag, 27. Dezember 2008

Fragen zur Zukunft des Buches

Dazu habe ich noch den Vortrag des Literaturagenten Ernst Piper gefunden, der unter anderem auch die jetzt zunehmend vertraglich festgelegten Nutzungsrechte des Verwerters in bisher noch unbekannten Nutzungsarten beleuchtet.

http://www.goethe.de/wis/med/dos/dig/zdb/de1523169.htm

Ich persönlich habe keine Bedenken, in Zukunft kein Buch mehr in die Hand nehmen zu können.
Die Millionen von Büchern, die jetzt im Umlauf sind oder gedruckt werden, werden ja nicht eingestampft, sondern weiter vertrieben, zum Beispiel über die Antiquariate oder Bücherflohmärkte, die sich meiner Beobachtung nach großer Beliebtheit erfreuen.
Was könnte denn eine noch unbekannte Nutzungsart sein? Vielleicht solche kleinen, taschenkalenderähnlichen Dinger, die man überallhin mitnehmen und per Knopfdruck die Seiten aufschlagen und beliebig lesegerecht vergrößern kann. (Aber die gibts sicher schon längst).

Ich weiß noch, dass den Kinos der Tod angesagt wurde, als das Fernsehen aufkam. Die Schallplatte ist tatsächlich weitgehend der CD gewichen. Früher war ich eine leidenschaftliche Zeitungsleserin-jetzt beziehe ich meine Informationen aus Fernsehen, Radio und Internet. Nur noch am Wochenende lese ich Zeitung, wegen des Reiseteils.
Gestern Abend habe ich PC und TV ausgeschaltet gelassen und den ganzen Abend einen Bildband von Eva Walter und Thomas Pfründel gelesen (Vom Taubergrund zum Bodensee). Das war sehr gemütlich und hat mich irgendwie frei und glücklich gemacht. Ein Reiseziel haben wir heute schon angefahren und dabei ganz andere Sachen entdeckt als die im Buch angegebenen-die Städtchen Oberderdingen und Diefenbach, rund um Maulbronn, wo wir dann abends durch das dunkle Kloster gingen, derweil uns der Wind um die Nase pfiff. Ich bekam plötzlich Lust, meinen Maulbronn-Roman weiterzuschreiben.
Mir persönlich wäre es am Liebsten, wenn alle Formen nebenher bestehen und sich ergänzen können, wovon ich ja auch schon längst profitiere: Ich schaue, wenn ich irgendwohin will, in mein Reisebuch, vergewissere mich im Internet über Öffnungszeiten usw. und schreibe ggfs. über das Gesehene im Computer.

Zwischen den Jahren

Nun ist es also auch wieder vorbei, dieses Fest der Feste, mit all seinen Ritualen und Bräuchen. In der Tübinger Stiftskirche gibt es künftig einen Ordnungsdienst, so las ich gerade, damit der Ansturm auf Weihnachtsgottesdienst und Oratorium nicht im absoluten Chaos endet. Da werden Stunden vorher schon ganze Bankreihen mit Mützen, Schals und Gesangbüchern belegt, damit alle aus dem Clan den besten visuellen und akustischen Platz bekommen. Gottesdienst als Event wie Weihnachtsmarkt und Glühwein. Hiobsbotschaften für das Jahr 2009 machen die Runde:
Massenentlassungen über 500 000, Neuverschuldung, Mehrausgaben wegen der Pendlerpauschale und höhere Leistungen für Hartz IV-Empfänger. Weltweite Rezession! Ob deswegen weniger Bücher gekauft werden? Es ist wohl eher ein Rasseln mit den Ketten, denn die Betreiber der Leipziger Buchmesse sehen keinerlei Gefahr eines Einbruchs.

http://www.buch-pr.de/news_1316.shtml

Persönlich war 2008 für mich ein zweischneidiges Schwert. Verlagskonkurs und - Rettung, eine übermäßig angespannte Situation am Arbeitsplatz und schließlich, gegen Ende, die Erkenntnis, dass das Schreiben so weit über das ursprüngliche Hobby hinausgewachsen ist, dass es zum totalen Zeitfresser wurde und ich die Feiertage nutzen musste, um alle Versäumnisse, deren ich mich schuldig gemacht hatte, wieder auszubügeln. Das ist mir allerdings so gut gelungen wie die Gänsekeulen, und überhaupt. Mein Sohn, als Berufsanfänger sehr von der Rezession betroffen, hofft auf einen touristischen Consultingauftrag in Ghana, nach dem schlechtbezahlten Praktikum, das er gerade in Franfurt macht. Er ist einer der wenigen, der sich für mein neues Buch interessiert, und über den Roman "Ausgebrannt" hat er sich echt gefreut.
Für mich persönlich wird sich im neuen Jahr wenig ändern. Für die Konflikte, die gelöst werden, kommen neue hinzu. Dass die Schreiblust, die mich einmal so mächtig umgetrieben hat, zurückkehren wird, spüre ich schon an der Art, mit der ich Recherchen betreibe.

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Weihnachtspute mit Apfelfüllung

Nachdem so viele Anfragen nach der Weihnachtspute kamen, schreibe ich noch schnell ein Rezept aus meiner gesammelten Kartei auf.

1 Pute (3Kg)
Salz
Pfeffer
150g fetter Speck (oder zerlassene Butter)
1/4 l Fleischbrühe
1 El Stärkepuder
3-4 El süße Sahne
2 El Sherry

Füllung:
50g durchwachsener Speck
2 Zwiebeln
750g Äpfel(z.B. Boskop)
2 eingeweichte, ausgedrückte Brötchen
(125 g Rosinen)
1 Ei
Salz, Pfeffer

Pute waschen, abtrocknen, innen und außen mit Salz und Pfeffer einreiben. Für die Füllung Speckwürfel ausbraten, Zwiebelwürfel darin glasig dünsten, geschälte, kleingewürfelte Äpfel mit Brötchen, nach Belieben mit Rosinen und ei mischen, würzen. Füllung im Bauch verteieln, mit holzspießchen zustecken. Fetten gewürfelten Speck in der Bratpfanne des Backofens ausbraten, Pute mit der Brustseite nach unten hineinlegen. mit dem Speckfett einpinseln und braten lassen. Immer wieder mit der Flüssigkeit bestreichen. Nach zwei Stunden die Pute wenden und weiterbraten. Er ist gar, wennn beim Einstechen kein rötlicher Fleischsaft mehr austritt. (Je nach Ofen 3-4 Stunden). Warm stellen. Soße mit Stärkepuder und Sahne binden, mt Sherry abschmecken.

Beilagen: Kartoffeln oder Kroketten, Rotkohl
Statt der Apfel- kann man auch eine Maronenfüllung machen.

Samstag, 20. Dezember 2008

Gebratene Gänsekeulen

Keine Sorge, ich werde diesen Blog nicht zum Kochbuch umfunktionieren.*g*
Das ist eher ein Experiment. Ich erinnere mich, in Tübingen eine Gans für vier Personen für 79,-Euro gesehen zu haben(Weinstube Forelle, ein herrliches altes Lokal). Kurzentschlossen haben wir nun gestern vier Gänsekeulen gekauft, die trotz Massenproduktion (junge polnische Hafermast) ganz schön teuer waren. Deshalb habe ich, damit mir nicht dasselbe Malheur passiert wie heute Mittag( mein Heißluftofen hatte es nicht geschafft, in fast einer Stunde einen Gemüseauflauf weich zu kriegen. So mussten wir in den schneematschigen Schwarzwald fahren und einen Mac Big holen). Die Gänsekeulen für den Weihnachtsfeiertag also darf ein solches Schicksal nicht ereilen. In meinem Bestsellerkochbuch "Ich helf dir kochen" von Hedwig Maria Stuber stehen nur ganze Gänse drin und Gänseklein, also habe ich im Netz nachgeschaut. Die Kochzeiten sind mit einer bis vier Stunden angegeben, wobei ich dann bei mir mal von Letzterem ausgehe. Dazu Rotkohl und Klöße. Oder wie wäre es mit dieser Variante?

http://newsgroups.derkeiler.com/Archive/De/de.rec.mampf/2008-11/msg00655.html

So abwegig ist das Schreiben über das Essen und Rezepte übrigens gar nicht. Ich denke an Herbys Vollwertblog und daran, was mich vor langer Zeit zum Kauf eines Computers bewogen hat: Im Internet könne man sich darstellen und es gibt mehr als 200 Rezepte für Sauerbraten. Aus dem Darstellen ist das Schreiben geworden, aus den Rezepten fast gar nichts mehr, weil das Erste diesen Bereich verdrängt hat. Nein, ich werde das natürlich nicht semiprofessionell nutzen.
Ich tue es ja schon die ganze Zeit. In meinen Romanen kann ich all das unterbringen, was mich schon immer interessiert hat. Dadurch lerne ich viel kennen.

Freitag, 12. Dezember 2008

Hurenromane

Allmählich beginne ich zu verstehen. Klar, Crime and Sex sells, das wusste ich schon lange.
Aber dass es inzwischen ein eigenes Untergenre ist, verblüfft mich doch. Ich lese vom "Fucking Berlin"einer Studentin und Mutter namens Sonia Rossi, die in den Feuilletons in einem Atemzug genannt wird mit den "Feuchtgebieten". Und ich dachte immer, das hätte was mit der "Wanderhure" zu tun.
Die Voyeurhaltung des Lesers kommt dabei zur höchsten Blüte. Richtig zu erfreuen scheint es aber wenige. Ich weiß auch nicht, warum ich über Blumenkohlgewächse im Hintern und darüber lesen sollte, wie man mit einem 100 Kilo schweren, stinkenden Mann fertig wird. Mein Interesse war: wieso ist die eine keine Nonne geblieben, die andere zur Hure geworden? Diese Fragestellung ist für mich zeitlos. Was meinen Roman diesem Genre zuordnet, ist die Hure. Und natürlich geht es auch um Sex. Der Gegensatz macht es vielleicht aus, denn ich sehe, wenn ich google, nach zwei, drei Seiten "Die Nonne und die Hure" nur noch Nonnen- und Hurenwitze. Vielleicht wird einmal eine Buchhändlerin zu einem Kunden sagen: "Vergessen Sie den blöden Titel, da stehen keine Witze drin."
Ich bin amüsiert.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Wir Hurenkinder

Der Schnee rieselt ungerührt weiter und bepudert die Tannen dick wie im Bilderbuch, leider auch mein Auto und den Gehweg. Seit heute Morgen schon summe ich Winterlieder vor mich hin, während ich Schaufel und Besen schwinge. Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht und Teich und Seen krachen/ das klingt ihm gut, das hasst er nicht, da kann er tot sich lachen!
In letzter Zeit war hier in der Nachbarschaft viel von Huren die Rede. Darüber müsste ich mal nachdenken. Aber nicht ohne meinen - na?

"Ich bin schon da", flüstert mir das Schreibteufelchen ins Ohr. "Denn ich schaue dir immer über die Schulter, egal, was du machst. Jetzt denkst du also über die Hure nach."
"Ja, sind denn alle Huren, die's für Geld machen?"
"In gewisser Weise schon, sie verkaufen ja etwas."
"Aber nicht sich selbst."
"Du hast es wieder mal erfasst", sagt das Teufelchen und gibt mir einen liebevollen Stups.
"Warum hast du eigentlich so dünne Arme und Beine?", frage ich, werde rot, weil man so was eigentlich nicht fragt.
"Du gibst mir zu wenig Nahrung", sinniert das Teufelchen und sieht auf einmal ganz zusammengeschnurrt aus.
"Was, soll ich noch mehr zweifeln und grübeln, mir noch mehr auf den Rücken packen?"
"Aber nein. Du sollst im Kontakt mit mir bleiben. Dazu gleich eine Frage: Was soll das da heißen, "Wir Hurenkinder"? Weißt du nicht, was Hurenkinder sind?"
"Hab's grad noch mal bei Wiki nachgelesen. Hurenkinder wissen nicht, woher sie kommen, Schusterjungen wissen nicht, wohin sie gehen. Aber die Hurenkinder sind die Schlimmsten."
"Damit hast du aber nichts zu tun", schnaubt das Teufelchen. "Das ist die Sache des Setzers."

Hier bricht das Gespräch ab. Mir ist eingefallen, dass ich noch meinen Espresso trinken wollte und schauen, wieviel der Schnee wieder unter sich begraben hat.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Eine Weihnachtsgeschichte

Und da nun der Schnee wieder leise rieselt und das wenige Geld der Deutschen in den Kassen der Geschäfte klingelt, mal was anderes. Eine Weihnachtsgeschichte aus den Anfängen der Schreibwerkstatt.

Die Weihnachtsfeier

Das Fest nahte mal wieder mit der ihm eigenen Unerbittlichkeit. Die wenigen Schwestern des Krankenhauses waren diesmal nicht bereit, auf ihre freien Tage zu verzichten. Nur Marlene dachte an die Jahre zuvor, in denen sie allein in ihrer Wohnung saß und Würstchen mit Kartoffelsalat verzehrte. Deshalb trug sie sich schon Anfang Dezember für den Dienst am Heiligen Abend ein. Sie nahm sich vor, ihren Patientinnen ein unvergessliches Fest zu bereiten. Eigenhändig goss sie Kerzen aus Bienenwachs, bastelte Strohsterne und Ketten aus rotem Stanniol, vergoldete Nüsse und besorgte einen großartigen Weihnachtsbaum, eine Edeltanne mit weichen, glänzenden Nadeln. Von den dankbaren Augen der Patientinnen ihrer Station begleitet, schmückte sie den Baum. Auf jeden Nachttisch stellte sie eine Schale mit selbstgebackenen Plätzchen. Die Hauswirtschaft wies sie an, ein besonders festliches Menü zu kochen: Avocadocremesuppe mit Krabben, Babarie -Entenbrust, gratinierte Kartoffeln, Wirsingschaum, Sorbets von Mango und Anananas.

Der Heilige Abend war gekommen. Marlene hatte alles bis ins Detail vorbereitet.
„So, meine Damen, jetzt geht’s los!“, sagte sie feierlich in die Runde und stellte sich vor den Weihnachtsbaum, der ihr schöner erschien als alle, die sie je gesehen hatte. Sie zückte ihr Feuerzeug und zündete eine Kerze nach der anderen an. Es begann honigsüß zu duften. Schließlich war der Raum in warmes Gold getaucht. Marlene schaute dankbar in die leise knisternden Flammen.
„Melanie, dein Auftritt“, wandte sie sich an ihre Nichte, die sie als Glanzpunkt dieses Abends engagiert hatte. Melanie stellte sich lächelnd vor den Baum und begann:

„Wo die Wege am dichtesten hangen ...“
„Wo die Zweige am dichtesten hangen“, raunte Marlene ihr zu.
„Wo die Zweige am tiefsten verschneit,
da ist um die Christkindszeit
im Walde ein Engel gegangen ...“
Da stimmt doch was nicht, dachte Marlene. Die Mundwinkel ihrer Nichte zuckten, als würde sie gleich in ein unkontrolliertes Lachen ausbrechen. Marlenes Knie wurden weich. Was ging bloß schief heute Abend?
„Wann gibt es denn endlich was zu E s s e n?“ schrie eine Stimme aus der Ecke, in der die Frauen mit den Bandscheibenvorfällen lagen.
„Wir haben H u n g e r !“, tönte es von allen Seiten.
„Einen Moment“, versuchte Marlene die Situation zu retten, „erst müssen noch die Geschenke verteilt werden“. Mit nun schon etwas schiefem Lächeln ging sie von Bett zu Bett und verteilte die Gaben. Es waren kleine Spieluhren, mit viel Liebe ausgesucht. Die Dame aus der Bandscheibenecke grunzte:
„Was soll ich denn mit diesem Staubfänger? Sorgen Sie lieber dafür, dass meine Bandscheiben wieder funktionieren. Das war jetzt schon die dritte Operation!“
Aus der anderen Ecke kam die Antwort:„Ach, halts Maul, alte Jammerliese! Sei froh, dass du so was überhaupt erleben darfst. Was soll ich denn sagen? Mir haben sie einen faustgroßen Tumor aus dem Kopf geholt.“
„Also, wenn ich so was hätte, täte ich mich gleich aufhängen!“
Die beiden Kontrahentinnen kochten aneinander hoch, während die anderen Frauen sich ängstlich in ihre Decken verkrochen. Nervös kaute Marlene an ihrer Unterlippe. Dann kam ihr der rettende Gedanke: das Festessen! Ein Knopfdruck an der Gegensprechanlage. Und schon marschierten sie herein: an der Spitze der dicke Koch mit einer Kaskade brennender Wunderkerzen, dahinter die Küchenfeen, Silberplatten mit Suppe, dampfenden Entenbrüsten, schäumendem Wirsing und goldgelb überkrustetem Gratin über dem Kopf balancierend.
„Schwester Marlene, ich m u s s mal!“ „Ich auch!“ „Ich h a b e schon, konnte es nicht mehr zurückhalten, huhuhuh.“ Ohne eine Miene zu verziehen, trug Marlene die Bettpfannen hinaus. Schon in der Tür, glaubte sie ihren Ohren nicht zu trauen:
„Was haben d i e sich bloß wieder ausgedacht? Gibt es hier denn kein anständiges Schnitzel?“
Als sie wieder hereinkam, stocherten alle lustlos in ihrem Essen; das Küchenpersonal war verschwunden. Melanie schaute leicht bedeppert vor sich hin. Marlene entfuhr ein abgrundtiefer Seufzer. Die Frau mit der Bandscheibe kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und sagte drohend: „Haben Sie gerade „Blöde Kuh“ zu mir gesagt?“ Marlene fühlte den Impuls zu schreien, presste die Hände an die Ohren und sah mit schreckgeweiteten Augen, wie die Tür zum Krankenzimmer aufgerissen wurde und der diensthabende Arzt hereinstürmte.
„Das glaube ich ja nicht, was ich da sehe“, brüllte er mit sich überschlagender Stimme. „Wissen Sie nicht, dass offenes Feuer im Krankenhaus verboten ist? Wollen Sie das ganze Haus abfackeln?“
„Ich wollte doch nur ...“, stammelte Marlene, doch sie wurde unterbrochen.
„Und was haben Sie für unsere Bandscheiben und Tumore für ein Essen zusammengemurkst? Die Hälfte von ihnen ist auf Diät gesetzt!“
„Herr Doktor, Herr Doktor, ich will ein Schnitzel!"
"Würstchen mit Kartoffelsalat", röhrte eine andere und begann, auf ihr Bettgestell zu trommeln.
„Herr Doktor, unter meinem Verband juckt es so. Können Sie ihn mir nicht wechseln?“
„Ich will hier raus, ich will nach Hause!“, dröhnte es an Marlenes Ohr. Sie schnappte sich ihre Nichte und flüchtete ins Nachtwachenzimmer.
„Das wird ein übles Nachspiel für Sie haben!“, hörte sie den Arzt schreien. Das Trommeln wurde ohrenbetäubend. Im Raum angekommen, ließ Marlene sich auf einen Stuhl sinken. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Melanie schaute sie wie vom Donner gerührt an. Doch nein, ihre Mundwinkel zuckten verdächtig; sie begann zu glucksen. Plötzlich brachen beide in ein befreiendes Gelächter aus. Zwischen Lachen und Weinen stieß Marlene hervor:
„Was bin ich doch für ein verdammtes Rindvieh!“

In den nächsten Tagen hatte Marlene frei. Sie saß in ihrer Einzimmerwohnung, schaute hinaus auf den Friedhof und den dunklen Saum des Waldes in der Ferne. Nebel waberten um die Grabsteine, und allmählich begannen kleine, weiche Flocken herabzuschweben und den Boden mit einer weißen Schicht zu bedecken. Friedhofskälte. Ein Leben, erstarrt wie ein See unter einer Eisdecke, dachte Marlene. So kann es nicht weitergehen. Ich gebe alles, und die anderen wollen es gar nicht haben. Ich muss etwas ganz anderes machen. Aber was?
Sie rief ihre Nichte Melanie an.
„Melanie, ich will raus aus dieser Mühle“, sagte sie. „hast du irgendeine Idee?“
Melanie überlegte.
„Schreib doch Geschichten über das, was du erlebt hast“, meinte sie.
„Was gibt es über mich schon zu schreiben? Ein Durchschnittsleben.“
„Das sind oft die spannendsten Geschichten“, meinte Melanie.
Marlene dachte lange darüber nach, während der ganzen Feiertage. In der Silvesternacht trat sie auf ihren Balkon, schaute den roten, gelben und grünen Blitzen zu, den Sternen, den riesigen Feuertropfen, die vom Himmel fielen, hörte das Knallen, Krachen, Bersten und Heulen – und mit einem Mal wusste sie, was sie zu tun hatte.
Im neuen Jahr kündigte sie, erstritt vor Gericht eine größere Abfindung und schrieb einen Arztroman. Er fand reißenden Absatz. Ein paar Jahre später hatte sie sich mit ihren Büchern eine goldene Nase verdient. Sie genoss das neue Leben in vollen Zügen und lernte viele interessante Menschen kennen. Wenn sie nicht schrieb, reiste sie im ICE erster Klasse durch Deutschland und Europa. Wollte jemand wissen, wie sie die Weihnachtstage verbrachte, antwortete sie:
„Ich fliege nach Teneriffa und gehe unter Drachenbäumen spazieren. Oder ich fahre mit meinen Freunden auf eine verschneite Berghütte, zünde Honigwachskerzen an und genieße festliche Menüs.“

© Christa Schmid - Lotz, November 2005

Dienstag, 9. Dezember 2008

Bücher wie Seife?

Zwischendurch habe ich mir noch mal den Schreibratgeber meines Agenten Dirk R. Meynecke"Von der Buchidee zum Bestseller"zu Gemüte geführt. Es ist gut, immer wieder mal darin zu lesen. Das, was früher bei mir einen Aufschrei der Empörung auslöste, nämlich: Bei der Vermarktung seien Bücher nicht viel anders zu sehen als ein Stück Seife, weil sie gut riechen müssten, um sich zu verkaufen, stößt inzwischen auf Verständnis meinerseits. Und daran dachte ich auch, als ich gestern in der Buchhandlung vor den Stapeln stand.
Das Seifensiederhandwerk ist übrigens eins, das mich von allen historischen Handwerken eigentlich am meisten interessiert (vielleicht noch das Töpfern und Korbflechten, weil ich es selbst einmal gemacht habe.) Keine Bange, mein nächstes Buch wird nicht "Die Seifensiederin" (gibt es schon) oder "Die Töpferin" oder "Die Korbmacherin" heißen. Aber dass es einen Duft haben wird, ist auf jeden Fall klar. Das Venedig-Buch sollte nach Lagune und Bergamotteöl duften, die "Pilgerin" nach Portulak und wildem Rosmarin. "Die Florentinerin" könnte nach Weihrauch, Ruß und gebratenen Wachteln riechen, die noch Unbekannte, Ungenannte, von der schon 50 Seiten existieren, nach Weinlaub und dem Gift von Tollkirschen.

Sonntag, 7. Dezember 2008

Dezemberblues

Das Leben ist nicht immer bunt und aufregend, und auch wenn ich einen Schwarzwaldkrimi schreiben würde, von denen es natürlich schon in Hülle und Fülle gibt, angefangen vom Toten hinter der Würstchenbude in Freiburg über den "Mord im Hirschen" bis zu den Morden im Badischen, würde es nicht bunter, aufregender oder tiefer werden.
Der Blick aus dem Fenster zeigt Nebel über den Schwarzwaldtannen, darüber offene blaue Stellen des Himmels. Es platscht und tropft im Garten. Ein Dompfaff flieht aus dem Busch mit dem Meisenködel. Die Wolkenmassen haben die zaghafte Sonne wieder verschluckt. Das schwarze Eichhörnchen mampft die zermatschten Walnüsse. Das ist meine Welt im Dezember.
Was geblieben ist, sind die inneren Welten, die sich durch Lesen, Schreiben und Denken erhellen.
Gestern habe ich einen weiteren Krimi einer weiteren großen alten Lady zu Ende gelesen: "Der Saal der Mörder" von P.D. James. Eine ganz andere Sprache, aber nichtsdestoweniger ein Hochgenuss. Was mir auffällt bei allen Krimis der letzten Zeit sind die Tiere, die jedesmal als Vorzeichen hingerichtet werden. Auch hier haben wir eine Katze, die am Baum aufgehängt wird, um die Protagonistin aus dem Haus zu locken. Und im "Schweigen der Lämmer", das ich mir dann auch noch gab, ist es ein weißer Pudel, der die Gemarterte rettet. (Abgesehen davon, dass es spannend war, fand ich es schon etwas trashig. Wo, bitte, gibt es eine Angstpsychose?)

Mein Schwarzwaldkrimi würde von einer Kommissarin handeln, die alte Dichter liest. In einem Dorf wird der Besitzer einer XXL-Kneipe ermordet aufgefunden, plattgeklopft, so wie er seine Schnitzel tagtäglich plattgeklopft hat. Und schon wird der Dezembertag bunter und aufgregender.
Aber ich schreibe diesen Krimi nicht. Noch nicht. Nachdem ich dies hier geschrieben habe, bricht die Sonne durch die Wolke.

Freitag, 5. Dezember 2008

Krimimärchen und Urängste der Menschen

Um noch einmal auf den Roman "Die dritte Jungfrau" von Fred Vargas zurückzukommen:
Dieses Buch hat mich so nachhaltig beeindruckt, dass ich gern alles von dieser Autorin lesen würde. Ich habe auch vorhin einen Artikel gefunden, aus dem ich erfahre, was dieses Geheimnis
ihrer schriftstellerischen Ausdruckskraft eigentlich beeinhaltet. Es sind reale Märchen, die sie schreibt; sie rührt dabei an die Urängste der Menschen und bietet Lösungsmöglichkeiten an.

http://krimis-thriller.suite101.de/article.cfm/das_phaenomen_fred_vargas

Falls ich jemals einen Krimi schreiben sollte, wäre es weder eine noch blutrünstigere, vielleicht sogar Ekel erregende Geschichte, wie ich sie schon gelesen oder als Film gesehen habe, noch eine Kommissar-Geschichte, sondern eine ganz eigene. Auf jeden Fall interessiert mich immer am meisten, wer w a r u m etwas tut und weniger die immer komplizierteren Rätsel, die sich der Lösung in den Weg stellen.
Rätsel an sich schon, sehr, mich zieht nichts mehr an als Geheimnisse. Ich kann es nicht ausdrücken. Fred Vargas hat das geschrieben, was ich meine.

Montag, 1. Dezember 2008

Frag das Schreibteufelchen

Das Schreibteufelchen, mein Alter Ego, Kritiker und kreativer Hintergrund, hat sich lange nicht mehr blicken lassen. Es ist auch jetzt nirgends zu entdecken. Ich wollte es aber hinsichtlich meines weiteren Vorgehens befragen. Am Spiegel hängt, neben einer Pestarztmaske aus Venedig, ein Teufelskäppchen.
„Ja, schau nur in den Spiegel“, tönt es von meinem Bücherregal her. „Schau, was aus dir geworden ist.“ Ich schaue in den Spiegel. Ganz normal eigentlich, nur nicht mehr so überbordend vor Hoffnung und Selbstüberschätzung wie vor 4, 5 Jahren noch.
„Ich habe die Bedeutung des Schreibens aufs Normalmaß runtergeschraubt“, sage ich.
„Ach, wirklich? Warum siehst du dann so enttäuscht aus? Worin hast du dich getäuscht?“
„Ich habe mir das alles viel ... einfacher vorgestellt. Dachte, es würde mein Leben bereichern.“
„Und, hat es das nicht?“ Das Teufelchen schnaubt.
„Doch, schon, aber ich musste so oft warten, bis irgendeine Entscheidung gefallen war. Dabei ist Warten nun wirklich nicht meine Stärke.“
„Und, sonst noch was?“ Das Teufelchen rutscht von den blankgeputzten Büchern herab und
stolziert auf mich zu.
„Ich habe die Bücher kaum in den Buchhandlungen gesehen.“
„Das wolltest du doch auch gar nicht. Nach zwei Monaten sind die Bücher von den Stapeln verschwunden, das weiß doch inzwischen jeder Autor.“
„Aber ... na gut. Ich möchte einfach auch gelesen werden.“
„Die Buchhändler entscheiden, was für sie verkaufbar ist. Wer ist denn nun deiner Meinung nach Schuld?“ Das Teufelchen hat sich auf die Lehne des Sessels geschwungen und lässt seine dünnen, schwarzen Beine baumeln.
„Schuld ist eigentlich niemand“, antworte ich. „Es ist vielleicht in der Verlagswelt manches nicht so gut organisiert.“
„Und? Ist an deinem Arbeitsplatz alles gut organisiert?“ Es riecht schon ein wenig nach Schwefel, Zeichen dafür, dass es im Teufelchen brodelt.
„Nein, ist es nicht. Es ist ein Auf und Ab, wie überhaupt alles ein Auf und Ab ist.“
Aus den Nasenlöchern des Teufelchens beginnt Rauch zu entweichen.
„Worin hast du dich getäuscht?“ Die Frage kommt zischend.
„Ich habe mich darin getäuscht, dass der Buchmarkt ein Ort sei, an dem man das machen kann, was einem schon immer vorgeschwebt hat.“
„Ach, du meinst, du wolltest einen Bestseller schreiben, vielleicht noch einen Preis bekommen?“, donnert das Teufelchen. Es streckt den dünnen schwarzen Finger nach mir aus.
„Du allein trägst die Verantwortung für das, was du gemacht hast! Bist du nicht oft genug gewarnt worden, nicht zuletzt von mir?“
Ich rege mich jetzt ebenfalls auf. Ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen ist doch der Traum vieler Menschen. Man wird doch wohl noch träumen dürfen!
„Ja, viele Menschen träumen davon, ein Buch zu schreiben“, grinst das Teufelchen. „Und für viele kommt früher oder später das Erwachen. Dann wollen sie es hinschmeißen, und doch wieder nicht. So wie du. Warum bist du nur so unzufrieden? Du hast doch alles erreicht, was du wolltest!“
„Warum hast du mich nicht davor gewarnt?“, brülle ich es an. „Wenn ich gewusst hätte, wie schnell sich das Karussell dreht, wäre ich nicht aufgestiegen!“
Das Teufelchen schlägt einen Purzelbaum und lacht aus vollem Hals.
„Du wolltest Karussell fahren, warum hätte ich dich daran hindern sollen?“
Nachdem ich einige Zeit im Zimmer hin- und hergelaufen bin, habe ich mich etwas beruhigt.
„Vielleicht hätte ich nicht gerade in das Teufelsrad steigen müssen“, sage ich.
„Es macht immer wieder Spaß und Vergnügen, im Teufelsrad herumzufliegen“, kreischt das Teufelchen.
„Mir ist schwindlig!“
„Dann steig aus.“
„Da brech ich mir alle Knochen!“
„Dann warte, bis es anhält und steig ins Riesenrad. Da hast du wenigstens den Überblick.“
„Das ist mir zu langsam. Ich möchte schon Karussell fahren, nur nicht so schnell, mehr nach meinem eigenen Tempo. Aussteigen will ich nicht.“
„Was willst du dann?“
„Schreiben, was mir wichtig ist.“
„Und wenn es anderen nicht wichtig ist?“
„Dann bleibt es eben in der Schublade.“
„Wolltest du für die Schublade schreiben?“
„Natürlich nicht! Aber ich wollte eigentlich nicht nur über Frauen schreiben, die moralisch einwandfrei sind und nicht nur über das Mittelalter und die Neuzeit.“
„Glaubst du wirklich, du könntest dich in einen Mann hineinfühlen?“
„Hab ich doch schon getan. In einen Dichter.“
Das Teufelchen wird wieder ernst. „Ich glaube, dir fehlt noch eine gute Portion Eigenständigkeit. Weißt du, was ich meine?“
„Ja, ich sollte das tun und schreiben, was i c h für richtig halte.“
Das Teufelchen macht ein zufriedenes Gesicht.„Du bist auf dem richtigen Weg, hast den richtigen Verlag, einen guten Agenten und einen guten Lektor.“
„Du meinst, ich sollte meine Einstellung ändern? Die Gewichtung verschieben? Jeweils das tun, was gerade wichtig ist? Mich nicht so unter Druck setzen?“
„Du m u s s t ja nichts tun, was du nicht willst.“ Die spitzen Teufelszähnchen erscheinen in seinem Mund. Ja, ich sage „die spitzen“, auch wenn Adjektive häufig verpönt sind. Was, bitte, soll man sich denn unter „Teufelszähnchen“ vorstellen?
„Ich habe es so gewollt“, sage ich und gehe zur Tür, an der es geklingelt hat.
„Ach, könnten Sie in nächster Zeit das Schneeschippen übernehmen, bis mein Sohn wieder kommt?“, fragt die Vermieterin freundlich. „Ich habe was an der Bandscheibe.“
„Aber sicher. Hat es denn wieder geschneit? Der Winter ist viel zu früh gekommen dieses Jahr.“
„Und Sie können auch gern von den Tannenzweigen nehmen, für Ihre Rosen.“
Es fällt mir wie Schuppen von den Augen.
ES GIBT AUCH NOCH ETWAS ANDERES DA DRAUßEN. Der Wald hat viele Bäume.
Es gibt Rosen und Walnüsse, Verkehrsteilnehmer, Klienten, Kollegen, Autoren, Verlage, Menschen, die mir nahe sind. Warum muss das alles immer stehen und liegen bleiben, wenn eines in den Vordergrund tritt? Es muss eine Zeitlang in den Vordergrund treten, dann ist wieder ein anderer Bereich dran.
„Teufel auch“, denke ich mir, stehe auf, gehe zu ihm hinüber und drücke ihm einen Kuss aufs schwarze Mäulchen.