Freitag, 23. April 2010

Schreibtod und Teufel

Ich sitze in meinem Zimmer, in dem ich nun zehn Jahre lang geschrieben und gezweifelt, den Glauben wiedergefunden und von Neuem begonnen habe. Heute nun habe ich ein Projekt zu Grabe getragen. Mir ist heiß und kalt, es ist, als wäre eine Grippe im Anzug, und doch fühle ich mich frei von jedem Zwang. Ich fahre Karussel, habe die Bücher in der Bücherei abgegeben, die dem Projekt, das jetzt gestorben ist, dienen sollten, mir neue geholt, die mir Lust auf Neues machen sollten. Sie bringen mich zum Gähnen. Was ist nur los? Ich fahre Karussel vor meinem Computer, die Einrichtung des Zimmers fliegt vorbei.
Da hängen die Pestarztmaske aus Venedig und die Kappe des Teufelchens über dem Spiegel. Wie konnte ich sie nur vergessen? Tod und Teufel! Und der Ritter noch dazu. Vielleicht solltest du einmal über Dürer schreiben, sagt das Teufelchen, dazu gab es noch keinen Roman in der letzten Zeit. Die Stimme des Teufelchens klingt, als sei es ihm heiß und kalt und als wäre eine Grippe im Anzug. Ich trage keine Anzüge, sagt das Teufelchen. Ich mache Pause. Ich will aber keine Pause machen, sage ich, ich will schreiben, will weiter. Machen wir ein Spiel, sagt das Teufelchen, das heute ohne jedes Schnauben und ohne Schwefelgeruch daherkommt.
Erzähl mir, was passiert ist. Warum musstest du etwas zu Grabe tragen? Erzähl es, wie du willst, literarisch, unterhaltsam, geshowt, getellt, als Märchen, als Krimi, wie du willst.
Es war einmal ein Mädchen, das wollte zu den Sternen greifen. Als es glaubte, die Sterne in den Händen zu halten, fielen sie alle miteinander vom Himmel.
Das ist keine Geschichte, sagt das Teufelchen und funkelt mit den Augen. Das ist eine Behauptung.
Also gut. Die Hebamme Barbara begab sich zum Priester und wollte, dass er ihr Buch in der Kirche vorlas. Doch er lachte sie aus und schickte sie in ihre Hütte zurück.
Das ist der schlechte Anfang eines historischen Romans, sagt das Teufelchen.
Die Autorin hatte einen Krimi geschrieben. Als sie damit zum Verleger kam, sah sie, dass der tot in seinem Sessel saß. Wer konnte ihn getötet haben? Sie fahndete und fahndete. Schließlich fand sie heraus, dass es ein Autor gewesen war, der nicht veröffentlicht wurde. Darüber schrieb sie einen neuen Krimi und wurde weltberühmt.
Vom Teufelchen ist ein Knurren zu hören. Weich nicht aus!, faucht es. Du wolltest deine Geschichte erzählen! Immer nur fabulieren, nie kommst du auf den Punkt und zur Wahrheit!
Ich habe ein Paket geschnürt, sage ich, habe es zu einem Verlag getragen, und der will es nicht haben. Er wollte ein anderes, hat der Mann gesagt, solche Pakete verkaufen sich nicht. Es muss Kaviar drin sein, allenfalls noch Albbüffel im Heubett, Ayurvedamassagen, Ölbäder, Sektbäder ...Sie, Herr Autor, haben veraltete Vorstellungen. Ihren Kram will eh niemand lesen. Und glauben Sie nicht, das Sie etwa zu einem anderen Verlag gehen können, die Verleger von heute wissen genau, was Leser von heute lesen wollen.
Leser von heute surfen im Internet, wenn sie verreisen wollen, wirft der Autor schüchtern ein. Die surfen im Internet, buchen ihre Wellnessreisen und Wandertouren und Städtetripps nach Rom, und dann kaufen sie dicke Bücher, um sich die Zeit zu vertreiben. Vielleicht auch mal ein dünnes über einen Mord oder über Körperregionen, die früher bäh waren oder über den Weg zum Glück oder nach Santiago.
Warum gehen Sie nicht zur Zeitung?, fragt der Verleger. Oder veröffentlichen eine Anthologie? Sie scheinen ja zu wissen, wos langgeht!
Mehr tellen, souffliert das Teufelchen.
"Verdammt!", entfährt es meinen fiebrigen Lippen. Ich bin wütend und enttäuscht. Ich fühle mich krank, krank vor Ärger darüber, das jeder, aber auch jeder sein eigenes Süppchen aus meinen Kochzutaten kochen will. Wieviele Stunden meines Lebens habe ich nun für den Gelben Sack geschrieben?
Und überhaupt, fährt der Verleger fort. Ihre Krimis und Romane gleichen Kochbüchern. Bilden Sie sich bloß nicht ein, das sei neu. Von Simmel bis Rosamunde Pilcher reicht die Parade derer, die es mit Erfolg gebracht haben.
Ich wollte nie Kochbücher schreiben!, schreie ich. Ich wollte einfach nur schreiben!
Das Teufelchen gluckst, etwas Rauch strömt aus seiner Nase, und feuert mich mit seinen schwarzen Ärmchen an.
Ihr Manuskript passt nicht in unser Verlagsprogramm, sagt der Verleger. Ich sage nein, und das ist mein letztes Wort. Er verschwindet im Nebel.
Na, was sagst du jetzt?, fragt das Teufelchen, nachdem es sich vor Lachen geschüttelt hat, außer Atem.
Na, das war eine Geschichte, sage ich. Aber nicht meine.
Du kannst nur fabulieren, sagt das Teufelchen. Aber glaub nicht, dass ich deine Geschichten nicht mag. Und glaub nicht, dass es nicht noch mehr Teufelchen in unserer schönen alten neuen Welt gibt, zum Teufel und mit vielen Adjektiven gesagt!